Das taube Herz
Gold aufzutreiben, ging Voltaire gar so weit, Goldmünzen aus seinem privaten Besitz einschmelzen zu lassen.
Die mit Markasit, einem Schwefelkies, bestückte Montre à répétition wurde zum Bestseller. Zu 18 Louis wurde dieses Schockmodell angeboten, wogegen man in Paris leicht 30 bis 40 Louis für das gleiche Modell bezahlte. Bis zu 50 Paar Hände ließ Voltaire an einer einzigen Uhr arbeiten, eine Technik, welche die industrialisationsfeindlichen Genfer Cabinotiers als Verrat an der hochstehenden Uhrmacherei verurteilten. Und als solchen verabscheute diese neue Arbeitsteilung auch Léon Falquet, seines Zeichens Kunstschmied und Reparateur allerlei mechanischer Geräte, altem Schmuck, Pendulen und Taschenuhren, Großvater von zwei kleinen und vier großen Enkeln, Erfinder, Erbauer und Vertreiber von La Rose Blanche, einer Broschenschmuckuhr in Form einer Rose, die Damen von
Rang und Namen in Paris, Barcelona, London und Rom als prestigeträchtigen Schmuck an ihrem Kleid trugen.
Léon Falquet war kein gelernter Uhrmacher, wie es diese aufgeblasenen, frisch aus Genf geflohenen Herren waren, die sich nun mit Voltaires Geld und Einfluss, mit dessen Rhetorik und den Beziehungen zum Adel im kleinen Dorf Ferney eine neue Uhrenmanufaktur aufgebaut hatten. Léon Falquet war in Le Sentier, einem kleinen jurassischen Dorf im Vallée de Joux, im Atelier Lambert zum Kunstschmied ausgebildet worden. Das Geschäft mit zu Herzen geformten und hin und wieder mit Diamanten gekrönten Trauringen war allerdings längst hinter jenes der Uhrmacherei geraten. Früh hatte ihn sein Lehrmeister und späterer Patron Lambert zu befreundeten und benachbarten Uhrmachern geschickt, um Schmuckuhren zu reparieren. Es war Léon Falquets Geschick und Phantasie zu verdanken, dass das Atelier Lambert sich im Dekorieren und Entwerfen solcher üppig geschmückter Uhren einen Namen machte, bald Bestellungen aus Neuenburg und Fribourg erhielt und Schmuckstücke nach La Chaux-de-Fonds und sogar nach Genf lieferte. Léon Falquet hatte sich darauf spezialisiert, Schmuck nicht nur für den Hals gehobener Damen oder für die Finger von für die Ewigkeit versprochenen Paaren zu kreieren, sondern für Uhrwerke. Er war der Hofschneider von mechanischen, mit Federn und Rädern angetriebenen Metallkonstruktionen, die ohne die prachtvollen Kleider, welche der Kunstschmied Léon Falquet ihnen entwarf und baute, so widerlich anzusehen waren wie die Innereien eines aufgeschnittenen menschlichen Körpers. Die Hülle, das war Léon Falquet
sehr früh bewusst geworden, war mindestens so wichtig wie der Inhalt. Kein Edelmann und kein noch so armer Bauer, darin waren sie sich ebenbürtig, verliebte sich in die Blutadern, Darmwindungen und anderen schleimigen Innereien einer Frau. Jeder rechtschaffene, mit einem normal tickenden Hirn versehene Mann ließ sich von den äußeren Reizen seiner Auserwählten, von der Anmut ihres Antlitzes, von den wohlgeformten Rundungen, der Art, wie sie sich bewegte, und der Schönheit ihrer gesamten Gestalt verführen. Eine Uhr, das war klar, musste funktionieren, wie ein Mensch leben musste, aber die Uhr sollte auch die Umgebung, in die sie gesetzt wurde, schmücken, erhellen und verzaubern, ganz so, wie es Frauenzimmer zu tun beliebten, davon war Léon Falquet überzeugt. Eine Pendule schmückte die Stube eines Gutshofes, das Esszimmer eines Landsitzes, den Empfangsraum einer Villa. Eine Broschenuhr war nicht einfach nur da, um die Zeit anzuzeigen, nein, sie schmückte elegante Damen so, wie es Armreifen und Goldketten taten. Fingerringuhren übertrafen normale Schmuckstücke durch ihre Nützlichkeit und standen anderen Schmuckstücken ästhetisch in nichts nach. Auch Herrentaschenuhren dienten nicht nur dazu, Termine einzuhalten, sondern sie zeugten von Stand und Rang, markierten Stil und Umgangsformen. Léon Falquet, der Meister der Uhrenschneiderei, hatte begriffen, dass er der toten Uhrenmechanik eine Seele einhauchen musste. Seine Schmuckstücke hatten Charakter und eine Aura. Zusammen mit der Bewegung der Zeiger schienen sie beinah zum Leben erweckt. In seiner Sammlung befanden sich goldene und silberne Amseln, die in ihrem Bauch Meisterwerke der jurassischen Uhrenmechanik trugen,
vergoldete Bienen mit einem astrologischen Kalender auf dem Rücken, Hirschkäfer mit Diamanten bestückten Zangen, deren aufklappbare Flügel ein Zifferblatt mit Zeigern auf dem Rücken zum Vorschein brachten. Léon Falquet hatte eine ganze Sammlung von
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