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Das taube Herz

Titel: Das taube Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Richle
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allen möglichen Blumenarten zu Uhren verarbeitet, aufklappbare Rosen- und Magnolienknospen, geschwungene Feigen- und Rebenblätter, künstliche Kakteen und Kirschen, aber auch Schmuckpistolen und Miniaturgeigen beherbergten winzige Uhrwerke. Die Kunstfertigkeit seines Handwerks kannte keine Grenzen.
    Und nun waren diese elenden Emailmaler aus Genf nach Ferney gekommen und produzierten in Voltaires Garten die Montre à répétitionn mit Markasit bestückt, als hätte es nie irgendein anderes Modell auf dieser Welt gegeben. Jedes Stück glich dem anderen wie aus der Form gegossen. Phantasielos klebten die Hugenotten das grausilberne Metall rund um die Gehäuse und ließen irgendwelche berühmten Köpfe auf die Deckel malen. Gegen diese billigen, kurzlebigen Fetischartikel waren Léon Falquets Unikate große Meisterwerke, vor denen in ehrfürchtigstes Staunen zu versinken sich gebührte! So erzählte es Léon Falquet jedem mit seinem nicht eingestandenen Zorn, während er seine Werkstatt aufräumte, Werkzeuge in Schubladen zurücklegte, Holz- und Metallspäne zusammenkehrte, Schrauben, Stifte und winzige Zugfedern in kleine Schatullen sortierte. Er betrachtete den alten Drehstuhl, der eigentlich ein Klavierstuhl war, auf dem vor noch nicht einmal einer Stunde sein langjähriger Partner, Mitarbeiter und Freund Paul Irmiger gesessen hatte - mit Schürze und vor das rechte Auge gebundenem Okular, so
wie er seit mehr als dreißig Jahren hier gesessen und Uhrwerke in seine, Léon Falquets, Gehäusekreationen eingebaut hatte. Wie Léon war auch Paul kein gelernter Uhrmacher. Sie kannten sich von früher, waren beide in Le Sentier im jurassischen Vallée de Joux aufgewachsen. Paul war, wenn auch zehn Jahre jünger, im Atelier Lambert zum Kunstschmied ausgebildet worden wie Léon, und so hatten sie damals schon zusammengearbeitet. Als das Atelier Lambert sich auf die Kreation von Schmuckuhren zu spezialisieren begann, oblag Léon das Kunsthandwerk der schmucken Gehäuse, Paul hingegen wurde der Einbau, der Unterhalt und die Reparatur der inneren Mechanik, der Uhrwerke, aufgetragen. Paul studierte die Räder und Zangen und Federn, schliff und feilte, ersetzte Schrauben, Nieten und Stöpsel. Schnell hatte er sich in die Funktionsund Bauweise der verschiedenen Uhrwerke eingearbeitet, so dass sich ihm kein noch so kompliziertes Räderwerk widersetzte.
    Es war Léon, der das Atelier Lambert als Erster verlassen hatte, um erst in Neuenburg, dann in Lausanne, in Genf und schließlich in Ferney für verschiedene Kunstschmiede zu arbeiten, dort zu heiraten und eine Familie zu gründen. »Léon Falquet - Créateur« ließ er an seinem fünfunddreißigsten Geburtstag von einem Schriftenmaler in roter und grüner Farbe über die Fenster der kleinen Arkade seines Hauses schreiben, um sich fortan darin der Kreation der schönsten, eindrucksvollsten und wagemutigsten Schmuckuhren weit und breit zu widmen. Seinen Freund Paul Irmiger ließ er bereits im dritten Monat nach der Geschäftsgründung durch einen berittenen Boten holen. Paul Irmiger schlug das Angebot nicht aus und nahm die
Arbeit noch in derselben Woche auf. Seither hatte er hier gesessen, auf dem alten Klavierstuhl, der damals zur Not aus dem Wohnzimmer herbeigeholt worden und damit augenblicklich und für immer und ewig Paul Irmigers Arbeitsstuhl geworden war. Das Okular über dem rechten Auge, die buschige, alles verdeckende Augenbraue über dem linken, vernachlässigten Auge, die Schürze etwas schief hängend, mehrere Zangen, winzige Schraubenzieher und eine kleine Sammlung Treibpunzen in der rechten Brusttasche, Ölflecken hier und da, so hatte Paul hier über dreißig treue Jahre lang gesessen. Und nun war er fort, von einem Tag auf den andern zu diesen Hugenotten abgewandert, die nichts Besseres im Sinn hatten, als diese elende, mit Markasit bestückte Montre à répétition in Massen herzustellen. Soweit hat er sich also hinuntergelassen, so tief war sein Freund Paul gefallen, so gering schätzte er seine eigene und die Arbeit des Ateliers Falquet, dass er sich nun bei diesen gaunerhaften Herrschaften anbiederte, sich ihnen kläglich und unrühmlich verkaufte. Mochten sie auch besser bezahlen als er, der Meister der teuersten Schmuckuhren ganz Savoyens, des Juras und von ganz Paris. Für einen Künstler gab es Grenzen der Qualität, die er nicht unterschreiten konnte, ohne den Verlust der persönlichen Ehre und Integrität. So sehr hatte Léon Falquet sich also in seinem

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