Das taube Herz
der jurassischen Uhrmacherei, hatte sein Versprechen eingelöst und war von seiner Reise zum spanischen König wohlbehalten, mit weitreichendem Ruhm und den Taschen voller Geld zurückgekehrt. Und nicht nur das, seine Reputation brachte ganze Heerscharen von Bewunderern, Käufern und lernwilligen Kollegen in die Gegend. Was vor einigen Jahren noch für viele eine Feierabendbeschäftigung war, hatte sich zu einem veritablen Nebenverdienst, oft zu einem kleinen Unternehmen entwickelt.
Handwerker, Mechaniker, Uhrmacher, Leute die nicht nur ihre Fingerfertigkeit und die Werkzeuge, sondern auch ihren Verstand und die Logik der physikalischen Gesetze beherrschten, wurden gesucht und gebraucht. Jean-Louis staunte nicht schlecht, als er, seine Siebensachen unter dem Arm, von Porrentruy her kommend, endgültig nach Hause zurückkehrte und über dem Türbogen seines Elternhauses das neu aufgehängte Schild entdeckte mit der Aufschrift:
Atelier Sovary & Fils
Constructeurs
Das war nichts Neues für Jean-Louis, dass sein Vater über sein Schicksal entschied, ohne sich auch nur einen Deut um die Meinung seines Sohnes zu kümmern. Aber eines hatte Jean-Louis in all den Jahren des aufmerksamen Studiums und der gehorsamen religiösen Unterwerfung im Jesuitenkollegium gelernt: die Ruhe bewahren, die Umstände analysieren, die Argumente abwägen, die Konsequenzen ziehen.
Tatsächlich hatte sein Vater alles in die Wege geleitet, damit Jean-Louis, kaum aus dem Kollegium entlassen, die Arbeit an seiner Seite aufnehmen und in die Produktion der Uhrengehäuse einsteigen konnte. Stolz nannte sein Vater sich Constructeur, aber im Grunde war er nichts anderes als ein Schreiner, der sich auf die Anfertigung eines einzigen Objekts spezialisiert hatte - ohne jegliche Ahnung davon, dass er ein Vorreiter der seriellen Produktion war, in diesem Sinn ganz und gar Pionier, aber gleichzeitig Opfer seiner eigenen Erfindung. Denn bald sollten Maschinen und Fabriken schneller und besser herstellen,
was er stolz als die Frucht seiner hartnäckigen Arbeit betrachtete.
Bereits in den ersten Tagen, die Jean-Louis im Atelier Sovary & Fils verbrachte, kam es zum Streit. Jean-Louis verstand weder etwas von Holz noch von der Schreinerei. Was ihn interessierte, war die Organisation der Werkzeuge, des Holzlagers, die Fabrikation und die Variationen der Uhrengehäuse. Er lernte rasch, jedoch nicht am richtigen Ort und an der falschen Sache. Jean-Louis begann Tische herumzuschieben, Werkzeuge zu sortieren, er demontierte einen Schrank vollständig, um den Raum offener und größer zu gestalten. Er konstruierte ein neues Regal für die fertigen Stücke und entwickelte eine einfach zu bauende Kiste für die Verpackung der zu liefernden Waren. Das alles gefiel Vater Sovary wenig bis gar nicht. Jedes Werkzeug, jedes Stück Holz, jeder Abfallsplitter, der nicht an den von Sovary senior vorgesehenen Ort versorgt wurde, brachte ihn in Aufruhr, entfachte in ihm Wallungen des Ärgers, die sich in Wutanfällen entluden. Der von Jean-Louis demontierte Schrank wurde vom Handlanger wieder aufgebaut, das von Jean-Louis konstruierte Gestell entfernt und zu Kleinholz zersägt, die von Jean-Louis entwickelte Verpackungskiste wurde aus dem Arbeitsprogramm gestrichen.
In den drei Monaten, die Jean-Louis mit seinem Vater im Atelier Sovary & Fils als neuer Geschäftspartner verbrachte, produzierte das Atelier so viele Uhrengehäuse, wie Sovary senior zuvor in einem Monat allein zustande gebracht hatte. Lieferungen gerieten in Verzögerung, Kunden schickten mahnende Briefe, sandten fordernde Kuriere oder betraten aufgebracht und empört das Atelier.
So hatte Vater Sovary sich die Zusammenarbeit mit seinem Sohn nicht vorgestellt und machte ihm Vorhaltungen. Er bereue es, dem Abbruch des klerikalen Studiums seines Sohnes zugestimmt zu haben. Seine Hände seien zu nichts anderem fähig, als zum Umblättern hauchdünner, eng bedruckter Buchseiten. Dieser Kopf sei zu wirr, als dass er sich mit den einfachen, weltlichen Dingen der Konstruktion eines Uhrengehäuses befassen könne. Immer müsse er alles infrage stellen, immer müsse er die Dinge weiter denken, als sie in Wirklichkeit reichten, immer gerate alles aus dem Lot, was sein von Hirngespinsten und an Wahn grenzenden Phantastereien geplagter Sohn anpacke.
Sieben Monate und zweieinhalb Wochen nach Jean-Louis’ Rückkehr aus dem Jesuitenkollegium traf Vater Sovary eine dritte und letzte Entscheidung über den Verlauf des
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