Das Testament der Götter
der Streitkräfte nicht ersuchen, Euch ihren Bericht über diesen … Unfall zukommen zu lassen?« Monthmose starrte auf die Spitze seines Binsenpinsels.
»Dieser Schritt würde als unziemlich angesehen werden. Das Heer mag die Ordnungskräfte nicht sonderlich, und …«
»Ich werde mich selbst darum bemühen.« Die beiden Männer verabschiedeten sich eisig.
»Heerführer Ascher ist gerade mit einem Auftrag in die Fremde aufgebrochen«, deutete der Schreiber des Heeres dem Richter Paser an. »Wann wird er zurückkommen?«
»Dienstgeheimnis.«
»An wen muß ich mich in seiner Abwesenheit wenden, um einen Bericht über den Unfall zu erhalten, der sich kürzlich nahe des Großen Sphinx zugetragen hat?«
»Ich kann Euch zweifellos helfen. Ach, das hätte ich fast vergessen! Heerführer Ascher hat mir ein Schriftstück anvertraut, das ich Euch in Kürze zustellen sollte. Da Ihr nun hier seid, übergebe ich es Euch eigenhändig. Ihr braucht es nur im Ausgangsverzeichnis abzuzeichnen.«
Paser löste die Leinenschnur, die den Papyrus zusammengerollt hielt.
Der Bericht schilderte ausführlich die bedauerlichen Umstände, die den Tod des Oberaufsehers des Sphinx von Gizeh und seiner vier Untergebenen in der Folge einer gewöhnlichen Begehung herbeigeführt hatten. Die fünf Altgedienten hätten den Kopf der riesigen Statue erklommen, um sich des guten Zustands des Gesteins zu versichern und mögliche, durch den Sandwind verursachte Beschädigungen zu melden. Einer von ihnen wäre ungeschickt abgerutscht und hätte seine Gefährten unseligerweise im Sturz mitgerissen. Die Altgedienten wären in ihren Geburtsorten, zwei im Delta, zwei im Süden, bestattet worden. Was die sterbliche Hülle des Oberaufsehers anbelangte, so wäre sie wegen der Würde seines Ehrenamtes in einer Nische des Heeres aufgebahrt und würde einer langen und sorgfältigen Balsamierung teilhaftig. Nach seiner Rückkehr aus Asien würde Heerführer Ascher höchstselbst die Begräbnisfeiern leiten.
Paser unterschrieb im Verzeichnis, um zu bestätigen, daß er das Schriftstück tatsächlich erhalten hatte. »Sind noch weitere Dinge in die Wege zu leiten?« fragte der Schreiber. »Nein, das wird nicht nötig sein.«
Paser bedauerte, Sethis Einladung angenommen zu haben. Bevor er sich bei den Streitkräften verpflichtete, wollte sein Freund dieses Ereignis in Memphis’ berühmtestem Haus des Bieres feiern. Der Richter dachte unablässig an Neferet, an dieses Sonnenantlitz, das seine Träume erleuchtete. Inmitten all der Zecher, die der Ort verzückte, fühlte Paser sich verloren und hatte kein Auge für die Nackttänzerinnen, junge Nubierinnen von schlankem Wuchs. Die Kundschaft saß auf weichen Kissen; vor sich Krüge mit Wein und Bier.
»Die Kleinen sind nicht zum Anfassen«, erklärte Sethi strahlend. »Sie sind nur da, um uns zu erregen. Sei beruhigt, Paser; die Wirtin versorgt uns mit einem Mittel von ausgezeichneter Güte, das aus zerstoßenen Akazienkernen, Honig und Datteln besteht und die Empfängnis verhütet.« Ein jeder wußte, daß die Akazienkerne Bestandteile enthielten, die die zeugende Kraft des Samens zerstörten; schon bei ihren ersten Liebestollereien benutzten die Jugendlichen dieses Mittel, um sich sorglos der Lust hinzugeben.
An die fünfzehn junge Frauen, mit durchscheinenden Leinenschleiern verhüllt, traten aus den rund um den Hauptsaal angeordneten Kämmerchen. Stark geschminkt, die Augen mit einem breiten Lidstrich umrahmt, die Lippen rot bemalt, eine Lotosblüte im gelösten Haar, schwere Reifen an den Handgelenken und den Fesseln, so näherten sie sich den hingerissenen Gästen. Paare bildeten sich ganz von selbst und verschwanden in den Kämmerchen, die durch Vorhänge voneinander abgetrennt waren.
Da Paser die Angebote zweier hinreißender Tänzerinnen abgewiesen hatte, blieb er allein in Sethis Gesellschaft zurück, der ihn nicht im Stich lassen wollte. Hierauf erschien eine Frau von ungefähr dreißig Jahren, deren einzige Bekleidung aus einem Gurt von farbigen Muscheln und Perlen bestand, welche aneinanderrasselten, während sie, die Leier schlagend, in langsamem Takt zu tanzen begann. Gebannt entdeckte Sethi ihre Tätowierungen: eine Lilienblüte auf dem linken Oberschenkel nahe dem Schamberg und über dem schwarzen Vlies ihres Geschlechts ein Abbild des Gottes Bes, um die Seuchen der Lust abzuwehren. Mit einer schweren, hell gelockten Perücke auf dem Haupt war Sababu, die Besitzerin des Hauses des Bieres,
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