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Das Testament des Satans

Das Testament des Satans

Titel: Das Testament des Satans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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finster. Die Sonne wird erst in einer Stunde aufgehen.
    Ein Pilgerladen aus Fachwerk. Zwischen den dunklen Balken quillt das Stroh des weiß verputzten Lehmverbundes hervor. In der Auslage Coquilles Saint-Jacques, Pilgerpfeifen aus gebranntem Ton, Pilgerabzeichen mit dem Bild von Saint-Michel, Pilgerausrüstung, Pilgerstäbe, Pilgerschuhe, Gebetbücher, Kreuze, Ikonen, der ganze Kram. Das letzte Mal von Spinnweben und Staub befreit, als Königin Marie mit ihrem Gefolge vor zwei Jahren den Mont besuchte.
    Ein paar Schritte weiter eine heruntergekommene Pilgerherberge. Vom bunt bemalten Schild über der Tür lädt ein Michelot mit Pilgerstab und Kalebasse zur Rast ein. Die Herberge ist vermutlich seit Jahrzehnten geschlossen, seit die Engländer den Mont belagern. In einem Fenster lockt Naschwerk aus Zucker in Form von marmorierten Jakobsmuscheln, mit Spinnweben statt Seetang garniert.
    Blick zurück: Sie kommen. Ich wirbele herum und renne weiter die Stufen hinunter. Eine schmale Treppe zweigt zur Dorfkirche ab. Keine Fluchtmöglichkeit!
    Hinter der Kirche führen Stufen den Berg hinauf. Ich hechele sie hoch. Der ummauerte Weg macht eine Biegung. Links die rückwärtigen Dachgauben eines Hauses an der Grande Rue. Hinter mir spitzbogige Kirchenfenster. Rechts eine wuchtige Mauer, ein gusseisernes Gitter, ein Heer aufgereihter Kreuze. Der Friedhof.
    Über mir ragt drohend der wuchtige Schattenriss der Abtei bis hinauf in den Himmel. Mittlerweile sind einige Fenster erleuchtet. In der Belle-Chaise, dem Gerichtssaal, wird Eoghans Leichnam abgeholt, und in der Chapelle Saint-Étienne wird die Totenmesse für die ermordeten Mönche vorbereitet.
    Die Schritte hinter mir werden lauter.
    Kurz entschlossen klettere ich über die Mauer und springe hinunter in den Friedhof. Guillaume d’Estouteville hat einmal im Scherz behauptet, ich gehe über Leichen – er glaubt, dass ich Kardinal Vitelleschi im Kerker der Engelsburg ermordet habe, nachdem der Kardinal, der den Papst stürzen wollte, um sich selbst die Tiara aufzusetzen, mich töten wollte. Wartet, bis ich nach Rom zurückkehre und Euch beim Abendessen von meiner Reise in die Hölle des Mont-Saint-Michel berichte, Guillaume: Heute gehe ich wirklich über Leichen.
    Die windschiefen Kreuze aus Holz und Eisen stehen dicht an dicht. Hier sind Engländer begraben, die in der Schlacht um den Mont im blutüberströmten Watt gefallen sind, Pilger, die im Meer ertrunken sind, Bauarbeiter, die vom Gerüst gefallen sind, Fischer, Muschelsammler, Pilgerführer, Andenkenverkäufer, Gastwirte, Bogenschützen, Handwerker – Montois und Fremde, Seite an Seite. Nur die Knochen der Mönche stapeln sich im Ossuarium der Abtei. Von ewiger Ruhe kann auf diesem Friedhof keine Rede sein: Hier muss eng zusammengerückt werden.
    Zwischen den Kreuzen hindurch husche ich auf die andere Seite des Friedhofs, klettere über einen verholzten Efeu auf die gegenüberliegende Mauer und schwinge mich hinüber. Gerade noch rechtzeitig.
    Aufgeregtes Geschrei. »Wo ist sie hin?«
    Gehetzt sehe ich mich um. Ich stehe in einer Gasse, die sich oberhalb der Grande Rue um den Mont herumwindet. Wenn ich mich nach rechts wende, laufe ich meinen Verfolgern in die Arme. Und wenn ich nach links die Stufen hinaufkeuche, komme ich vor der Treppe zum Châtelet heraus.
    »Merda!«, fluche ich.
    So schnell ich kann, hetze ich über die Treppenabsätze den Mont hinauf und folge der Gasse, die sich zwischen den Schieferdächern der Häuser hindurchwindet. Über mir türmt sich das Châtelet mit seinen beiden Wehrtürmen auf. Da ist der Weg, über den ich vorhin zur Saint-Aubert-Kapelle geführt wurde. Ich biege nach links ab und renne unterhalb der wuchtigen Mauern der Abtei entlang. Dann habe ich die steile Treppe erreicht, die zwischen den Dächern hinunter zur Straße führt.
    Ich hetze die ummauerten Stufen hinunter, vorbei an einem Gärtchen, unter einer Wäscheleine hindurch, zwischen Schieferschindeln, Dachgauben, Kaminen und Fenstern hindurch zur Grande Rue. Jetzt kann ich die Porte du Roy sehen. Das Stadttor ist von Fackeln erleuchtet. Es ist verriegelt und wird von mehreren Bogenschützen der Garnison bewacht. An Flucht ist nicht zu denken.
    Ich muss zum Bailli. Sein Haus liegt nur wenige Schritte die Grande Rue hinauf. Ich werfe mich herum und haste die Stufen der Gasse wieder hoch. Außer Atem klopfe ich an die Haustür. Nichts rührt sich. Ich trete einen Schritt zurück und blicke hinauf. Die Fenster im ersten

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