Das Testament des Satans
dem Prior? Oder Jourdain, dem englischen Spion?«
»Jourdain war der Spion?«
»Ich habe beobachtet, dass er Leuchtsignale zur Tombelaine sandte. Er wusste, wer ich bin. Er fürchtete, dass ich ihn enttarne.«
Yannic schweigt eine Weile. Dann sagt er: »Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.«
»Was heißt das?«
»Härter an den Wind.«
Der Sturm ist eiskalt, die mit Gischt gesättigte Luft schmeckt nach Salz. Obwohl ich mich elend fühle und mich festhalten muss, um von den harten Brechern nicht über Bord gespült zu werden, beginne ich zu verstehen, was Yannic das Segeln bedeutet.
Ich richte mich auf und blicke zurück zum Mont-Saint-Michel, der in der hohen Dünung kaum noch auszumachen ist. Mein Blick schweift über den Horizont, wo das schiefergraue Meer und der schwarze Himmel eins werden. Was ist denn das? Ein Segel?
Ich blinzele durch die aufspritzende Gischt, kann jedoch nichts mehr sehen. Ich sitze zu tief, um über die Dünung hinwegzublicken. Ich muss aufstehen, um besser sehen zu können.
»Yannic!«
»Was ist?«
»Ich will aufstehen.«
»Bleib sitzen.«
»Wann wendest du?«
Er spürt meine Unruhe und zögert. »Sobald du wieder sitzt und den Kopf einziehst.«
Ich rappele mich auf und taumele zum Mast, um mich daran festzuhalten, während ich über die Dünung hinwegspähe.
Da ist das Segel.
»Wir haben Gesellschaft bekommen«, verkünde ich.
»Du meinst, jemand segelt in meiner Bucht und in meinem Meer?«
Ich deute nach hinten. »Backbord achteraus, eine Seemeile entfernt.«
»Setz dich wieder hin.«
»Aye.«
Yannic wendet das Boot, das unter dem Anprall der Wellen knarrt, als zerberste es im nächsten Moment.
»Ich kann das Ruder halten, während du aufstehst und nachsiehst«, schlage ich vor. »Ich habe gesehen, was du mit dem Seil da …«
»… mit der Schot …«
»… mit der Schot gemacht hast, um das Segel umzulegen und das Boot zu halsen. Lass mich das Ruder halten.«
Yannic zögert, dann nickt er. »Komm her.«
Auf allen vieren krieche ich zu ihm und ziehe mich neben ihn auf die schmale Holzbank.
»Die eine Hand ans Ruder«, brüllt Yannic.
»Aye.« Ich lege meinen Arm auf das Ruder und blicke am Segel vorbei nach vorn.
Die Wellen werfen sich mit brutaler Gewalt gegen die Enez Eusa . Die tosende Luft rings um das Boot ist ganz trüb von Regen und Gischt, die mir ins Gesicht spritzen. Meine Augen brennen und tränen wegen des Salzes.
»Mit der anderen nimmst du die Schot.«
»Aye.« Ich beuge mich vor und nehme das Seil, mit dem das Segel gespannt wird.
»Alles klar so weit?«
»Was mache ich, wenn die ersten Eisberge in Sicht kommen?«
Er lacht. Dann küsst er mich hart auf die Lippen, steht auf und taumelt unter dem Segel hindurch zum Mast, um sich daran festzuhalten, während er nach achtern späht.
Fluchend kommt er zurück und übernimmt wieder das Ruder. »Es ist Corentin. Er kommt langsam näher.«
»Es ist also noch nicht vorbei.«
Yannic sieht mich ernst an. »Noch lange nicht.«
Nach jedem Wendemanöver blicke ich zurück. Der Mont-Saint-Michel und die Tombelaine sind längst hinter dem Horizont verschwunden. Aber das Segel, das abwechselnd an Backbord und an Steuerbord auftaucht, wird immer größer.
Ich setze mich wieder an meinen Platz an der Bootskante. »Corentin segelt, als sei Satan hinter seiner Seele her.«
Yannic antwortet nicht. Wie gebannt starrt er nach vorn.
»Was ist denn?«
»Sieh mal nach vorn. Der weiße Streifen am Horizont.«
Ich blinzele über den Bug nach vorn. »Dio del Cielo! Was ist denn das? «
»Die Gischt einer Riesenwelle.«
Entsetzt beobachte ich, wie sie auf uns zurast. »Ein Mascaret?«, ächze ich.
Yannic antwortet nicht. »Wir können nicht ausweichen. Halt dich fest.«
»Aye.«
»Hängst du am Seil?«
»Aye.«
Yannic packt das Ruder mit beiden Händen und steuert das Boot den fast senkrecht ansteigenden Wellenberg hinauf, wobei es immer langsamer wird. Plötzlich ist die Welle nicht mehr unter uns, sondern über uns. Yannic brüllt etwas, aber ich kann ihn nicht verstehen, weil sich in diesem Augenblick die Welle mit einem Donnergetöse über uns bricht und die Wassermassen auf uns herabstürzen.
Ich denke noch ›Das hält das Boot nicht aus! Wir werden kentern!‹, dann wirft mich die Sturzsee um, presst mir die Luft aus den Lungen und reißt mich über die Kante hinweg ins tosende Meer.
Prustend tauche ich wieder auf, drehe mich um und blicke zurück. In diesem Augenblick verschwindet Yannics
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