Das Testament des Satans
Schultern an.
Das andere Segel verschwindet immer wieder hinter den Schleiern aus aufgewirbelter Gischt. Corentin folgt uns noch, hat aber nicht weiter aufgeholt.
Während ich mein Gesicht in den Wind halte, damit die nassen Strähnen mir aus der Stirn wehen und ich die langen Haare zu einem Zopf flechten kann, blicke ich nach vorn.
»Wo sind wir eigentlich?«
»Irgendwo in der Bucht.«
Ich fluche. »Du weißt also nicht, wo wir sind …«
»Aber sicher weiß ich das.« Yannic deutet über die linke Schulter. »Da ist die Bretagne …«, dann über die rechte Schulter, »… da die Normandie …«, und schließlich nach vorn, »… und da drüben ist Cornwall. Davor liegen Jersey und Guernsey. Und ein paar Riffe.«
»Na toll. Weißt du, wo wir hin müssen?«
»Na klar.« Er nickt in Richtung des Bugs. »Da lang.«
Ich geb’s auf.
Der Himmel verfinstert sich immer mehr, die Wolken werden immer bedrohlicher, grelle Blitze zucken durch die Schwärze, gefolgt vom Donnergrollen, aber Yannic hält weiter Kurs auf den Horizont. Er lässt sich nicht beirren, obwohl die Dünung stärker wird. Und das Segel und die Seile zum Zerreißen gespannt sind. Auch ihm fällt es immer schwerer, das Gleichgewicht zu halten. Mit gespreizten Beinen stemmt er sich gegen die Planken und hält das bebende Ruder.
Durch das Heulen des Windes und das Donnern der Wogen kann ich schon bald das Brechen von Brandungswellen hören. Ein dumpfes, beängstigendes Grollen. An Steuerbord brodelt das Wasser, als ob Milch im Topf überkocht.
Ich wende mich zu Yannic um. »Sind das die Riffe?«
Er zuckt mit den Schultern.
Er hat wirklich keine Ahnung, wo wir sind!
Ich kämpfe gegen die Angst an. »Zeit, in Panik zu geraten?«
Er schüttelt den Kopf. »Noch nicht.« Dann späht er über meine Schulter nach vorn. »Festhalten!«
Ich sehe noch, wie eine riesige Welle sich über uns auftürmt, dunkel und gefährlich. Das Boot scheint reglos zu warten, wie die Welle höher und höher wird. Dann krachen die Wassermassen mit erschreckendem Getöse gegen den Bug der Enez Eusa, reißen ihn herum und stemmen ihn hoch, bis er steil zum Himmel zeigt. Obwohl ich mich verzweifelt festklammere, werde ich von der Kante weggerissen und durch das Boot geschleudert.
Ich lande direkt vor Yannics Füßen und schlage mir den Kopf an. Stöhnend richte ich mich auf. Mir dröhnt der Kopf, der Schmerz schießt bis in den Nacken.
Yannic gibt mir die Hand. »Du blutest ja. Setz dich neben mich. Ich seh mir die Wunde an.« Er zieht mich auf die Bank und wischt mir mit dem Ärmel das Blut von der Stirn.
Ich zucke zusammen vor Schmerz.
Eine Welle überschüttet uns mit salziger Gischt.
»Wie geht’s deinem Arm?«, fragt Yannic. »Kannst du das Ruder übernehmen?«
»Und was machst du?«
Das Boot schnellt in ein Wellental hinunter und steigt an der nächsten Welle wieder hoch. Ein dichter Nebel aus Wasser hüllt uns ein.
»Ich muss schöpfen. Wir nehmen zu viel Wasser. Das Boot wird immer schwerer. Bei dem Regen und der Gischt ist das Segel …«
»Das heißt?«, unterbreche ich ihn.
»Wir werden langsamer und schwerfälliger, sodass wir nicht mehr schnell genug auf Kurs gehen können. Es kostet mich sehr viel Kraft, das träge Boot bei den Wendemanövern unter Kontrolle …«
»Und die Kurzfassung?«
»Wir sinken, langsam, aber sicher.«
Yannic
Kapitel 86
An Bord von Yannics Boot
Am frühen Nachmittag
Corentin ist noch immer in Sichtweite. Seit Stunden folgt er uns mit einer Ausdauer, die mich zutiefst erschreckt. Seine Berufung durch den Erzengel, sein mörderischer Dämon, treibt ihn unbeirrbar voran. Ein Kampf ist unvermeidlich. Das Testament des Satans darf nicht auf den Mont-Saint-Michel zurückgebracht werden.
Der Abstand zwischen den Booten verringert sich Stunde um Stunde. Ein weit verzweigter Blitz zerreißt den blauschwarzen Himmel. In seinem Licht kann ich Corentin am Ruder der Saint-Benoît erkennen, dem Boot der Abtei. Er kreuzt in unserem Kielwasser.
Alessandra zieht sich erschöpft neben mich auf die Bank. »Ich kann nicht mehr. Die Schmerzen im Arm sind unerträglich.«
»Ruh dich aus.«
Sie versucht zu lächeln. »Wie lange noch?«
Ich atme tief durch. »Halbe Stunde vielleicht.«
»Und dann?«
Ich zucke mit den Schultern.
»Weißt du inzwischen, wo wir sind?«
»Die lange Antwort mit Kurs, Windstärke, Strömungsversatz, Kenterpunkt, Wellenhöhe und geschätzter Geschwindigkeit über Grund? Oder die kurze?«
»Die
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