Das Testament des Satans
einen Exorzisten mit nach Frankreich. He, du brauchst überhaupt nicht die Augen zu verdrehen, Alessandra! Das ist mein letztes Wort!«
Denkst du! Da nützt es nichts, mit der päpstlichen Faust auf den Tisch zu hauen. Auf dem Mont-Saint-Michel herrscht weder Henry von England noch Charles von Frankreich. Sondern der Ausnahmezustand. Der Pater wartet wie alle anderen in der Prieuré de Genêts auf mich. In Frankreich also.
Müde reibe ich mir die Augen und widme mich wieder dem Teufelskodex.
Satans Aufstieg und Fall, sein Kampf, sein Sturz, seine Herrschaft über die Welt. Aber kein Wort vom Testament des Satans! Ich spüre, wie mir die Zeit zwischen den Fingern zerrinnt. In einer Dreiviertelstunde wird die Glocke die Mönche zur Vigil rufen.
Bevor ich das hingekritzelte Kolophon am Ende des Buches entziffere, blättere ich zurück zu der Seite, die ich vorhin in der Krypta überflogen habe. Da steht es!
› … und übergab Aubert die vom Blut des Satans triefende Reliquie: das Vermächtnis des Satans, auf dass er sie tief im Felsen verberge und von den Mönchen bewachen lasse …‹
Das war’s. Die einzige Erwähnung des Vermächtnisses.
Eines Nachts erscheint Saint-Michel im Traum vor Aubert und befiehlt ihm, auf dem Mont-Saint-Michel ein Sanktuarium zu errichten. Als Reliquie übergibt er ihm das bluttriefende Testament des Satans.
Na toll, aber ich bin keinen Schritt weiter! Ich brauche einen Hinweis, einen Code, verborgene Schriftzeichen in den Ornamenten am Seitenrand, weggekratzte Marginalien, ein Bild der Reliquie und ihres Schreins, irgendetwas!
Entnervt blättere ich durch den Kodex, lese ein paar Zeilen im Buch der Rituale und erfahre, dass ein Priester die Kapelle mit dem Satansschrein betrat, um Blut auf den Deckel zu spritzen. Und dass er die unheilige Lade in eine Wolke aus Weihrauch hüllte, damit die Mächte des Bösen ihm nicht schaden konnten.
Blutopfer und Weihrauchschwaden … Das liest sich fast wie die alttestamentlichen Zeremonien vor der Bundeslade, denke ich und erinnere mich an Gottes Gebot an Moses: ›Verfertige eine Lade aus Akazienholz! Überziehe sie mit reinem Gold von innen und von außen. In die Lade sollst du das Gesetz legen, das ich dir geben werde!‹ Der Gottesschrein mit Gold verkleidet, die Satanslade mit Blei. Ist die Lade, in der das Testament des Satans aufbewahrt wird, ein Gegenstück zur Bundeslade?
Das Buch der Rituale enthält magische Beschwörungen, satanische Symbole, aber auch Gebete zum Schutz vor dem Bösen und eine Satansaustreibung, die der Besessene an sich selbst durchführen kann, ohne Exorzisten. Dieser Abschnitt des Kodex ist also ein Grimoire. Es heißt, dass sich zwischen den Seiten dieser Zauberbücher Dämonen verbergen und dass sie durch das bloße Öffnen des Buches herausgelockt werden …
Gut zu wissen.
Am Ende des Buches befindet sich ein Kolophon, eine Art Schlussformel oder Nachwort, das üblicherweise Angaben über den Verfasser, den Auftraggeber sowie Ort und Jahr der Niederschrift enthält. Die letzten Seiten bis Seite 666 sind herausgerissen – aber wieso?
Ich beginne, den Text zu lesen … und bin erschüttert.
›Bevor ich von diesem Leben in ein anderes hinübergehe, muss ich mein Gewissen vor Gott und allen Menschen erleichtern, auch wenn dieses Bekenntnis, so hoffe und bete ich, niemals gelesen wird. Was ich getan habe, habe ich aus freiem Willen getan. Was ich erlitten habe, ist eine Strafe des allmächtigen Gottes, der über mich richtet. Möge sein Urteil gerecht sein …‹ Und am Ende der Seite: › … will ich durch die Gnade Gottes im Vergessen Frieden finden.‹
»Das ist unglaublich!«, murmele ich, schüttele den Kopf und lese fasziniert weiter:
› … den Schrein in alle Ewigkeit zu verbergen, damit er niemals gefunden wird …‹
Der Mönch, der diesen Kodex im apokalyptischen Jahr 999 verfasst hat, als der panische Schrecken vor dem Ende des Jahrtausends und der erwarteten Wiederkehr Christi um sich griff und die Menschen ihr eigenes Requiem sangen, wurde mit seinem Buch in einer Krypta lebendig eingemauert! Das muss in der Krypta der dicken Pfeiler gewesen sein, unterhalb des Chors, der 1421 einstürzte. Damals fand man ein Skelett, wie der Prior Papst Martin berichtete.
Der Frater, der sich selbst als Hüter der Lade bezeichnet, litt Höllenqualen, die er sehr anschaulich beschreibt. Blutende und eiternde Wunden am ganzen Körper und im Gesicht, was ihn wie einen Dämon aussehen ließ …
Ich
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