Das Testament des Satans
nicht, als wäre dieser Kodex in kurzer Zeit von einem einzigen Mönch verfasst worden.
› … ein Buch, mit Satans Hilfe von einem Mönch verfasst, das Geheimnisse offenbart, die selbst den Engeln des Himmels verborgen geblieben sind.‹ So beschrieb die Chronik, die ich vorhin im geheimen Archiv entdeckt habe, diesen Kodex.
Anders als die Bibel, die den Werdegang Gottes beschreibt – als Schöpfer und Zerstörer, als Befreier und Gesetzgeber, als Eroberer und Rächer -, zeichnet dieses Gegenstück zur Bibel das Leben des Teufels nach. Seine Verbannung als Engel aus dem Himmel, beschrieben in dem ›Buch über den Pakt mit Gott‹. Sein Kampf gegen den Erzengel Michael hier auf dem Mont-Saint-Michel, nachgezeichnet in einer Apokalypse, deren Beschreibung der himmlischen Entscheidungsschlacht viel ausführlicher ist als die Version in der Bibel. Dann folgt Satans Sturz in die Hölle, wo er als Fürst der Finsternis die Herrschaft über die Dämonen übernimmt, die ihm in seinem Kampf gegen Gott zur Seite stehen – nachzulesen in den Kapiteln ›Das Buch der neun Tore‹, ›Das Buch vom Thron königlicher Pracht‹ und ›Das Buch der Engel und Dämonen‹. Dann lese ich von Satans Versuchung Jesu in der Wüste und sein Auftreten als Antichrist – diese Darstellungen bilden das ›Evangelium nach Satan‹:
Der Fürst der Hölle, dessen Macht und Herrschaft über die Finsternis dem lichterfüllten Reich Gottes gegenübersteht, verdunkelt den Verstand der Menschen und gewinnt auf diese Weise Einfluss auf ihren Willen. Satan, der Herrscher der Welt, bedient sich der List, gibt sich den Anschein des Guten, des Heiligen, des Engels des Lichts. Dieser finsteren Macht können die Gläubigen nur mit dem Wort Gottes Widerstand leisten, mit dem festen Glauben an Jesus Christus. Jeder, der nicht Gott nachfolgt, steht unter der Macht des Satans.
Ich muss an das Buch meines Vaters denken, das mir in Rom in die Hände fiel: ›Es steht dem Menschen frei, sich in seinem Denken und Handeln zu Gott zu erheben, um ihm ähnlich zu werden, oder zur teuflischen Bestie zu entarten. Das Böse steckt im Menschen selbst. In jedem von uns …‹
Luca hatte recht. Der Teufel steckt in uns allen, wie eine Pestbeule, die irgendwann aufbricht und ihren ätzenden, giftigen und ansteckenden Bluteiter entleert, wie ein wucherndes Krebsgeschwür des Bösen, das immer schneller Metastasen bildet und sich so lange unaufhaltsam ausbreitet, bis das ganze System zusammenbricht. Dann: Exitus. Die Hinrichtung des Menschen, der einen Satanspakt geschlossen haben soll, im Feuer oder im Wasser. Und, Stufe zwei: die ansteckende, seuchenartige Ausweitung des Phänomens, der Zusammenbruch des gesamten Systems, der Gesellschaft – Massenhysterie, psychische Unzurechnungsfähigkeit, Halluzinationen wie Zeichen Gottes und Satansvisionen, panische Gebete und Gewalt – jeder gegen jeden.
Ich muss kein Inquisitor sein wie mein Vater, um die Mechanismen des Bösen zu verstehen, die, erst einmal in Gang gekommen, kaum noch aufzuhalten sind. Sie ähneln der tödlichen Maschinerie der Inquisition, mit lautem Kettengerassel, quietschendem Foltergerät und menschenverachtendem Terror. Nein, ich muss kein Inquisitor sein, Gott bewahre! Aber ich muss denken und handeln wie ein Inquisitor, wie vor zwei Jahren im Prozess gegen mich. Und aus diesem Grund hat Tommaso mich hergeschickt: als Inquisitor mit umfassender päpstlicher Handlungsvollmacht.
Lagebesprechung beim Abendessen: »Es gibt kein heiliges Buch, das von Satan selbst verfasst wurde, kein Papyrusfragment eines satanischen Evangeliums, kein Spruch, der von ihm selbst stammt, nichts. Eine Menge Grimoires, mit denen die Dämonen beschworen werden können, schwarze Bibeln mit einem Pentagramm auf dem Einband, liturgische Handbücher für Satansmessen, Prozessakten der Inquisition über Satanserscheinungen, Erfahrungsberichte der Exorzisten über Teufelsaustreibungen, du kennst das alles, du weißt wovon ich spreche, Alessandra. Aber es gibt kein Werk von Satan selbst verfasst, als Gegenstück zur Heiligen Schrift. Mit einer Ausnahme: Das Testament des Satans. Als Papst, Stellvertreter Gottes auf Erden und Hüter des wahren Glaubens, muss ich wissen, welches Vermächtnis er der Welt vermacht hat. Mir ist bewusst, dass du gewisse Grenzen überschreiten wirst, um dich auf das Terrain des Satans vorzuwagen. Ich bete darum, dass du in der Lage sein wirst, wieder heil zurückzukommen. Zu deiner Sicherheit nimmst du
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