Das Testament des Satans
echter Freund. Und Freunde wie wir vertrauen einander und erzählen sich, was sie bewegt, hab ich recht?« Als ich nicht sofort antworte, schlägt er mit patriarchalem Gestus das Kreuzzeichen über mir und nuschelt: »Ego te absolvo a peccatis tuis in nomine …«
»Padric, sei so gut. Du bist kein Priester!«
»Ich nicht, aber du.«
Womit wir wieder bei seiner Frage angekommen wären.
Ich stöhne entnervt. »Ja«, gebe ich schließlich zu – er lässt ja doch nicht locker. »Ich finde sie ganz bezaubernd.«
»Ha! Dachte ich’s mir doch!«, schmunzelt er, und seine grau-blauen Augen leuchten dabei wie mein Leuchtturm in der Abenddämmerung. »Und sie, empfindet sie etwas für dich?«
Der Hüter des Erzengels
Intermezzo 3
Im Refektorium
Kurz nach ein Uhr nachts
Nur wenige Schritte entfernt schlägt der Hüter das Notizbuch auf und blättert durch die mit einer seltsamen Schrift beschriebenen Pergamentseiten. Es sind dieselben Zeichen wie in Vittorinos Büchlein, das seit jener Nacht spurlos verschwunden ist. Hat Vittorino es Yann gegeben, bevor er starb?
Wenn es Yann gelingt, die Geheimschrift zu entschlüsseln, wird er wie Conan den verborgenen Schrein in der Krypta finden. Er wird das Schloss aufbrechen, den Brokatstoff zur Seite schlagen, in den das schwach glühende Metall gehüllt ist, und das Testament des Satans lesen.
Gott bewahre! Ich muss verhindern, dass Yann sich mit Liliths Tochter verbündet, die ebenfalls nach der Tod und Verderben bringenden Reliquie sucht. Ihrem Charme und ihrer Chuzpe ist er offenbar schon erlegen. Wie Seine Heiligkeit der Papst, der ihr ebenso willfährig ist. Oh, Yann, mein Junge, du enttäuschst mich maßlos! Ich hatte Großes mit dir vor! Aber so …
Der Hüter schüttelt traurig den Kopf.
Das Geheimnis muss gewahrt bleiben. Auch um den schrecklichen Preis, dass Yann, den er lieb hat wie einen eigenen Sohn, sterben muss wie alle anderen.
Arc’hael Mikael, steh mir bei in dieser schweren Stunde!
Der Hüter zieht den Silberstift aus dem Buchrücken, mit dem Liliths Tochter in ihr Notizbüchlein schreibt. Mit schnellen Strichen bereitet er die Falle vor, die schon bald zuschnappen wird.
Seit Vittorinos Tod ist alles vorbereitet. Die Bruderschaft hat sie seit Wochen erwartet. Die Progression des Todes, die sie ein für alle Mal vernichten wird, ist nun unaufhaltsam in Gang gekommen. Die Bruderschaft des Erzengels wird siegen, wo die Inquisitoren vor zwei Jahren so grandios gescheitert sind.
Ein sardonisches Lächeln tritt auf seine aufgeplatzten Lippen, als er unter dem Symbol, das er eben skizziert hat, einige Zeilen in Alessandras Handschrift niederschreibt.
Sie sind ihr Todesurteil.
Alessandra
Kapitel 15
Im Scriptorium
Zehn Minuten nach ein Uhr nachts
Behutsam streiche ich über das gewellte Pergament mit dem Titel: Liber Secretorum Diaboli – das Buch der Geheimnisse des Satans. Das vergilbte Pergament lässt keinen Zweifel zu an seinem Alter. Zehntes oder elftes Jahrhundert. Nach fast fünfhundert Jahren ist der Kodex in ausgezeichnetem Zustand, als wäre er die meiste Zeit in einem luftdichten Raum verwahrt gewesen, ohne Feuchtigkeit und ohne Schimmel. Am oberen Rand des Titelblattes entdecke ich Vittorinos Handzeichen. Er hat dieses Buch also gelesen.
Der Foliant ist in einen hölzernen Umschlag mit Lederbezug und Ornamenten aus Metall gebunden. Er war mit sieben Siegeln aus rotem Lack versiegelt. Alle wurden aufgebrochen. Unwillkürlich kommt mir ein Vers der Apokalypse in den Sinn: ›Und ich sah in der Rechten dessen, der auf dem Thron saß, ein Buch, mit sieben Siegeln versiegelt.‹ Grauenvolle Dinge werden geschehen, wenn Christus die Siegel öffnet.
Das Buch besteht aus … ich schlage die letzte Seite auf … aus über sechshundert durchnummerierten Pergamentseiten. Die letzten wurden herausgerissen. Die zerfetzten Reste, die eine nahezu unleserliche Schrift aufweisen, hängen noch im Buch. Nur eine Hand voll Seiten fehlt!
Das Buch hatte ursprünglich … ich fingere rasch durch die zerfetzten Blätter … sechshundertsechsundsechzig Seiten.
Sieh mal einer an! 666 – die Zahl des Satans aus der Offenbarung des Johannes!
Ich blättere zurück zum Anfang.
Der Foliant ist in einer karolingischen Minuskel verfasst, einer Schriftart, die gegen Ende des achten Jahrhunderts während der Herrschaft Karls des Großen entwickelt und bis ins elfte Jahrhundert verwendet wurde. Die Sprache ist Latein. Der Stil und die Art der Schrift verändern sich
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