Das Testament des Satans
blicke auf. Die Fratze vorhin an meinem Bett! Dieselben Symptome! Leidet der Assassino an derselben Krankheit wie der Verfasser des Buches und Hüter der Lade? Was mich gleich zur nächsten Frage führt: Verursacht der Schrein mit dem Testament des Satans dieses Leiden? Ist der Assassino ein Hüter der Lade? Hat er die fehlenden Seiten herausgerissen?
Mühsam entziffere ich die Handschrift, die immer unleserlicher wird. Und wirrer. Oft reihen sich Worte und Sätze ohne Punkt und Komma aneinander. Dadurch verschwimmt manchmal die Beziehung der Satzteile zueinander. Nur durch aufmerksames Lesen kann ich den oft dunklen Sinn ergründen. So viel verstehe ich: Der Mönch, der seinen Namen nirgendwo genannt hat, litt unter furchtbaren körperlichen und seelischen Qualen, bevor ihm der Tod die Feder aus der Hand nahm. Seine Worte zu lesen ist, als würde ich ihm beim Sterben zusehen. Am Ende war er der Meinung, er vollende sein Buch, eingemauert in der Krypta, mit der Hilfe Satans. Der Antichrist wäre bei ihm, die ganze Zeit. Entsetzlich!
Schaudernd erinnere ich mich, wie ich vor zwei Jahren in den Gewölben des eingestürzten Lateranpalastes verschüttet war. Stunde um Stunde habe ich das Buch des Teufelspapstes in mein Notizbuch kopiert und dabei gespürt, wie ich immer schwächer wurde, immer müder, immer verwirrter …
Ich konzentriere mich wieder auf das Kolophon, das immer mehr zur Lebensbeichte wird, zu einem verzweifelten Aufschrei: ›Ich bete zum allmächtigen Gott, dass die Krypta, die zu meinem Grab geworden ist, niemals geöffnet wird und dass das Vermächtnis des Satans bis zum Ende der Zeit verborgen bleibt. Ich bete von ganzem Herzen und mit all meiner schwindenden Kraft, dass niemand jemals diese Worte lesen wird, denn wenn …‹ An dieser Stelle bricht der Text ab. Die folgenden Seiten sind aus dem Kodex herausgerissen worden.
Denn wenn … was? Was geschieht, wenn das Vermächtnis des Teufels entdeckt wird?
Ich vermute, dass auf den fehlenden Seiten vom Testament des Satans die Rede war. Im Jahr 999 wurde es zusammen mit dem Hüter in einer Kammer unter der Abteikirche eingemauert, damit es für alle Zeit verborgen blieb. Aber dann stürzten 1421 der Chor und die Krypta ein, und beim Wegschaffen der Trümmer wurde die Kammer mit dem Skelett entdeckt. Und dann?
Und dann die Morde. Der letzte vor vier Monaten, kurz bevor Vittorino in die Abtei kam. Der Bibliothekar, der Amtsvorgänger von Abelard, wurde auf grauenvolle Weise ermordet – sein Leichnam war von rätselhaften Zeichen aus Blut umgeben. Musste er sterben, weil er den Schrein geöffnet hatte, nachdem er im Archiv die Purpurchronik mit dem Fluch auf der weggekratzten Seite gelesen hatte?
Und wo ist das Testament des Satans jetzt? Vittorino hat es in der Hand gehalten, Conan hat es seinen Seelenfrieden genommen … nur ich habe keine Ahnung, wo ich danach suchen soll.
Vittorino hat dieses Liber Secretorum Diaboli gelesen. Conan auch. Es hat sie zur Reliquie geführt. Also muss das Versteck irgendwo in diesem Kodex bezeichnet werden. Aber wie kann das sein? Das Buch wurde im Jahr 999 mit seinem Verfasser eingemauert. Die Lade mit der Reliquie wurde jedoch 1421 aus der Krypta der dicken Pfeiler geholt und an einem anderen Ort begraben. Aber wo?
Irgendwo unter der Kirche … in einer verborgenen Kammer … einer Krypta … einer Gruft … einer Nische im Felsen … mit anderen Worten: Irgendwo in dieser labyrinthischen Abtei.
Ich blättere weiter durch den Kodex und betrachte die kostbaren Illuminationen, die in den Text eingestreut sind. Sie sind in Tinte ausgeführt und nachträglich koloriert und mit Blattgold verziert worden. Sie entstanden also vor der Niederschrift des Textes, der sich der Form der Szenen anpasst und sie umfließt.
Das erste Bild zeigt Jesus Christus in wallendem Gewand auf einem Wolkenthron, als er sich Johannes offenbart. Das ist der Beginn der Apokalypse des Johannes.
Ich schlage das nächste Bild auf. Die Öffnung des Buches mit den sieben Siegeln. Im Hintergrund Gott auf seinem himmlischen Thron, der von flammenden Feuerschalen umgeben ist, ihm zu Füßen das Lamm. Im Vordergrund ein wogendes Gemetzel: Scheuende und steigende Pferde mit wehenden Mähnen, auf ihren Rücken Reiter mit zum Kampf erhobenen Armen, unter ihren Hufen sterbende Blutopfer. Die apokalyptischen Reiter, alle mit Totenschädeln anstelle von Gesichtern, fallen mit Sensen und Schwertern übereinander her und schlachten die Menschheit ab. Am
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