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Das Testament des Satans

Das Testament des Satans

Titel: Das Testament des Satans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Hüter war, als er eingemauert wurde. Aber Prior Yvain behauptet, es gebe keinen Schrein und kein Testament des Satans. »Va all’ inferno! Du weißt etwas, Pater Prior, ganz sicher weißt du etwas! Die Aufzeichnungen über die mysteriösen Morde, die ich im Archiv gefunden habe, wurden am 14. Dezember 1446 auf deinen Befehl abgebrochen. Da warst du schon im Amt, du Mistkerl!‹
    Anders als in der Ordensregel vorgesehen, wählen die Mönche ihren Prior selbst. Die Amtszeit dauert drei Jahre. Die nächste Wahl steht also in den kommenden Wochen an. Und Yannic, der einige Jahre Prior auf dem Saint Michael’s Mount war, will Yvain de Bayeux herausfordern, das hat Kardinal d’Estouteville mir anvertraut – Guillaume hält sehr viel von Yannic, der fast ein halbes Jahr in seinem Palazzo in Rom gewohnt und mit seinen Kindern Agostino und Girolamo im Garten gespielt hat. Guillaume wäre es mehr als recht, wenn Yannic Prior wäre.
    Ich blättere zum nächsten Bild: Es zeigt Harmagedon, den Ort der Entscheidungsschlacht zwischen Gut und Böse, die auf einem Berg stattfinden soll. Das Wort Harmagedon kommt in der Heiligen Schrift nur ein einziges Mal vor, daher ist es nicht möglich, den Ort eindeutig zu benennen. Aber diesen Felsen kenne ich – es ist der Mont-Saint-Michel. Darunter der Text: ›Das Böse ist mächtig. Es wird immer stärker. Doch es ist nicht unbezwingbar. Das Gute wird am Ende siegen.‹
    Ich atme tief durch.
    Auch hier keine Spur von einem Testament des Satans.
    Was habe ich übersehen, was falsch verstanden? Ich weiß es nicht. Dennoch habe ich das Gefühl, dass während des Blätterns etwas mit mir geschehen ist, anders kann ich dieses Empfinden nicht beschreiben. Es gibt eine unterschwellige Botschaft, die ich nicht entschlüsseln kann. Mein Unbehagen sagt mir, dass ich recht habe: Ich habe etwas übersehen, etwas Wichtiges, Entscheidendes.
    Aber was?

Yannic
Kapitel 16
    Im Dormitorium
Kurz vor halb zwei Uhr nachts
    Lautlos schleiche ich den Gang zwischen den hölzernen Zellen des Dormitoriums entlang. Dabei behalte ich Frère Loïc im Blick, der neben dem Tisch mit der Nachtkerze eingenickt ist und mittlerweile genauso laut schnarcht wie die schlafenden Mönche, über die er als Significator Horarium, als Wächter der Zeit, neben der Stundenkerze wachen sollte. In einer halben Stunde soll er die Glocke zur Vigil läuten, um die Fratres zu wecken.
    Hinter mir zieht Padric mit einem Ruck den Vorhang seiner Zelle zu und sinkt auf das Bett – es knarrt leise, als er sich hinlegt, zwischen dem rauen Laken und den piksenden Halmen und Ähren des Strohsacks eine bequeme Position sucht und dabei seinen Habit ordnet, damit er zum Stundengebet nicht völlig zerknittert ist. Die Abtei ist feucht, die Laken und das Stroh sind immer klamm, wenn man zitternd und frierend ins Bett kriecht, und der Habit müffelt schon nach nassem Seetang, wenn er frisch gewaschen von der Leine kommt.
    Noch zwei, drei Schritte, dann habe ich meine Zelle erreicht. Ich taste nach dem Dolch an meinem Gürtel und spähe in die dunkle Kammer, die kaum größer ist als das Bett mit dem unbequemen Strohsack und das schmale Regal mit den wenigen Habseligkeiten, die mir die Ordensregel gestattet …
    … und die jetzt alle über die zerwühlte Bettdecke verstreut liegen: der nackte Crucifixus, der über dem Bett hing, die ›Disziplin‹, mit der ich mir jeden Freitag mit nacktem Oberkörper den Rücken blutig geißele, während ich den 50. Psalm bete. Das Nähzeug. Das Rasiermesser. Der kleine Spiegel. Die Kräuterseife, die meine Mutter mir geschickt hat und die so herrlich nach meiner Insel duftet, nach den moosigen runden Steinen an kantigen Felsstränden, nach dem violett blühenden Heidekraut, nach den regendurchtränkten matschig weichen Schafsweiden, nach der glitzernden Meeresgischt zwischen den Klippen der Steilküste, wo die Möwen nisten, und nach den windigen blau-grauen Weiten des Atlantiks. Und da ist auch Katarins Brief in ihrer krakeligen Kinderschrift, die Pierrics windschiefem Gekritzel so ähnlich ist, dass es mich jedes Mal, wenn ich ihn sehe, traurig macht.
    Yvain und Abelard haben meine Zelle durchwühlt! Schon wieder! Das letzte Mal war mein Brustkreuz verschwunden.
    Was fehlt diesmal?
    Oje! Mein Brevier liegt zerrissen vor dem Bett, unter dem Haken mit meinem zweiten Habit. Erschüttert hebe ich das Buch auf und blättere darin. Was haben sie gesucht? Vittorinos Notizbuch? Oder etwas anderes … etwas, das

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