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Das Testament des Satans

Das Testament des Satans

Titel: Das Testament des Satans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Alessandra mir vorhin gegeben haben könnte?
    Ich ziehe die beiden Briefe hervor, die sie hinter dem Kaminsims versteckt hatte, und betrachte die Pergamente. Ich wollte sie unter meinem Bett verstecken, aber nein, das kann ich wohl vergessen. Viel zu gefährlich, für sie und für mich.
    Also schiebe ich das Breve von Papst Nikolaus und das Schreiben des Seigneur d’Estouteville wieder unter meine Kukulle und verlasse meine Zelle.
    Wo ist sie nur?
    Im Tosen des Sturms husche ich zur Tür, die in die Kirche führt. Ein kurzer Blick zurück: Loïc schläft fest, niemand steckt den Kopf aus seiner Zelle, niemand folgt mir. Dann los! Ich stoße die Tür auf und steige die Stufen empor zum Seitenschiff.
    Die Kirche wirkt verlassen. Das Dach über mir sieht aus wie ein im Sturm gekentertes, kieloben schwimmendes Schiff.
    Ein eisiger Schauer rieselt mir über den Rücken: Terribilis est locus iste – schrecklich ist dieser Ort. Es scheint, als ob er einatmet und ausatmet, als wäre er lebendig. Während des Tages ist er eine herrliche Kathedrale, wie aus Sonnenlicht gewoben, ein Stein gewordener Hymnus zur Verherrlichung des Erzengels, aber nachts strömt dieser Ort Böses aus.
    Kein Wunder, dass alle glauben, der Erzengel wandele nachts in seiner Kirche und strafe diejenigen, die sich gegen ihn versündigen. Die Reliquien des Erzengels werden in einer Truhe verwahrt, die niemals geöffnet werden darf. Ein Mönch wagte es, das Schloss aufzubrechen, weil er sehen wollte, um zu glauben. Sein Unglaube erzürnte den Erzengel – der Mönch fiel auf der Stelle tot um.
    Ich gehe zum Altar, knie vor der Granitstatue des Erzengels nieder, bekreuzige mich und spreche ein Gebet zu Saint-Michel. Das Furcht erregende Bildnis lasse ich dabei nicht aus den Augen. Diese Statue ist verwünscht. Sie scheint zum Leben zu erwachen, sich zu bewegen und mit knackenden steinernen Gelenken über den liegenden Satan herabzusteigen – ein Aufenthalt nachts in der Kirche ist auch ohne einen Gewittersturm nichts für schwache Nerven.
    Im Jahr 1045, in der Nacht zum 16. Oktober, kurz vor der Vigil, sah ein Mönch drei Engel mit Kerzen, die wie Pilger gekleidet waren. Als er sich ihnen näherte, ohne sich respektvoll vor ihnen zu verneigen, erschien eine unsichtbare Hand, die ihm derart eine geknallt hat, dass er ohnmächtig hintenüberkippte. 1050 sahen zwei Mönche, die im südlichen Querschiff achtlos die Messe zelebrierten, plötzlich eine Flamme aus dem Altar schießen, die wie ein Blitz in ihre Körper einschlug und ihnen in einer Stichflamme die Haare versengte. 1050 und 1263 haben die Mönche nachts eine ganze Stunde lang die Engel das Kyrie eleison singen hören, so schön und harmonisch, dass sie glaubten, sie wären im Himmel.
    Am 17. Februar 1270 kehrten die Mönche nach dem Nachtoffizium ins Dormitorium zurück, als plötzlich drei laute Donnerschläge sie erschreckten. Voller Panik flüchteten sie sich in die Kirche, wo Engel aus loderndem Feuer um den Altar herumwirbelten. Die erschrockenen Mönche läuteten die Glocken und flehten Gott um Hilfe an. Denn eine Schar feuriger Gestalten flog mit einem gewaltigen Flattern durch den Himmel über der Kirche. Das muss eine schreckliche Nacht gewesen sein! Am nächsten Tag, als die Mönche im Kreuzgang waren, schoss ein Lichtstrahl aus dem Flammenschwert des Erzengels auf dem Turm der Kirche.
    Und 1102 stattete Saint-Michel selbst seiner Kirche einen Besuch ab, als irrlichternde Feuersäule, die durch die gesamte Basilika wandelte. Le Coz hat ihn auch gesehen, als er 1421 unter den Trümmern des eingestürzten Chors verschüttet war. Es war eine feurige Lichtgestalt, die zu ihm gesprochen hat.
    Ich bekreuzige mich. Terribilis est locus iste.
    Und dann sind da noch die geheimnisvollen Lichterscheinungen über dem Mont, die man vom Meer aus beobachten kann und die wie Leuchtfeuer schimmern. Um das Jahr 1000 hat der Bischof von Avranches nachts eine derart hell strahlende Erscheinung über dem Mont beobachtet, dass er befürchtete, die Abtei brenne lichterloh. So ein Leuchten, wundervoll wie ein Polarlicht, habe ich selbst schon gesehen, als ich während eines Sturms nach Sonnenuntergang in der Bucht gesegelt bin.
    Ja, der Mont ist das Tor zu einer anderen Welt, ein mystischer Übergang zwischen Himmel und Erde und Hölle.
    Nachdem ich mich erhoben und den Fuß des Erzengels auf Satans Schulter geküsst habe, wende ich mich um. Die für das Fest von Saint-Michel geschmückte Kirche wirkt

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