Das Testament des Satans
Ahnung! Aber ich bin sicher, dass ich es bald herausfinden werde …
Wenn Yvain mit geballten Pranken auf dich zukommt, wie gerade jetzt, hast du das Gefühl, du würdest von einem den Abhang herabpolternden Felsen überrollt. Da gibt’s nur eins: Stellung halten, auf keinen Fall zurückweichen oder ängstlich den Blick senken. Und dann, ohne ein Zeichen der Schwäche zu zeigen, Kopf hoch, Schultern zurück, auf zum Gegenangriff!
Yvain ist groß, breit und schwer, wie ein Menhir. Geduckte Haltung, als wolle er über dich herfallen. Grobe Gesichtszüge, wie aus Granit gehauen, grauer Bart und lockiges graues Haar, das verschwitzt unter seinem Bonnet hervorquillt. Seine Stimme passt zu seinem wuchtigen Äußeren – es ist ein tiefes, kehliges Grollen, wie von einem Dolmen, der über einem zusammenbricht.
Robin und Padric stellen sich neben mich und geben mir Rückendeckung. Yvain tritt den Rückzug an. Denn mit den beiden erfahrenen Kämpfern an meiner Seite haben er und Abelard keine Chance, mich zu töten.
Er bedenkt Robin mit einem bösen Blick, dann wendet er sich ab.
Yvain hasst Robin. Er hat seinen Vater im Kampf gegen die Engländer verloren, als sie die Normandie eroberten. Innerhalb von zwei Tagen wurden zwölf seiner Verwandten getötet – sein Vater, seine Onkel, seine Brüder, seine Cousins und ein Neffe, der noch nicht einmal vierzehn war. Das Haus der Familie wurde geplündert und niedergebrannt, die Frauen vergewaltigt und verschleppt. Yvains Schwester lebt noch immer irgendwo in Kent, wo und wie, weiß ich nicht.
Yvain, damals in königlichem Auftrag in Bayeux, um mit den Eroberern einen Waffenstillstand auszuhandeln, wurde auf eine normannische Burg gebracht. Wochenlang schmachtete er bei Wasser und Brot in einem Turmverlies, mit schweren Ketten an den Beinen. Er glaubte, dass er hingerichtet werden sollte. Wie er schließlich doch noch freigekommen ist, weiß ich nicht. Und wie er trotz der Belagerung auf den Mont-Saint-Michel gekommen ist, ist mir ein Rätsel.
So verworren die Geschichte auch ist, die er mir eines Abends bei einem Becher Calvados erzählt hat, eines ist klar: Yvain hasst die Engländer bis aufs Blut. Und noch etwas: Solange Yvain als Prior die Abtei verteidigt, werden die Engländer den Mont-Saint-Michel ganz umsonst belagern.
Während der Prior die Suche nach Conan organisiert – »Immer zu dritt, niemand geht allein! Nehmt Euch in Acht: Das Böse geht um!« – zieht Robin mich zur Seite. Padric folgt uns in eine Ecke des Verlieses.
»Yann, was ist hier los?«, fragt Robin ernst, während er sich die Kapuze vom Kopf zieht. Er trägt kein Bonnet. Sein dunkles Haar, das er nach all den Monaten als Mönch noch immer lang trägt wie ein englischer Ritter, ist zerwühlt vom Schlaf. Seine Tonsur und sein Bart wirken dagegen gepflegt. Ich habe ihm erst gestern mit dem Rasiermesser gedroht.
In kurzen Worten berichte ich, was in den letzten Stunden geschehen ist. Mein Gespräch mit Alessandra. Yvains und Abelards Beschluss, mich zu töten. Meine Flucht durch die Abtei. Conans Selbstmord will ich ihnen nicht zumuten.
»Du, ein englischer Agent?«, fragt Padric ungläubig und starrt meinen blutnassen Habit an.
Robin lässt mich nicht aus den Augen. Er hat bemerkt, durch welche Tür ich das Dormitorium betreten habe, als die Mönche sich in Zweierreihe aufstellten, um zum Stundengebet in die Krypta zu gehen. Er weiß, dass ich nicht auf dem schnellsten Weg vom Kerker ins Dormitorium gekommen bin. Und dass ich einige Minuten im Kreuzgang war.
»Père Yann, Frère Padric, Frère Robin!«, teilt uns der Prior mit patriarchalischem Gestus als Suchtrupp ein. »Ihr durchsucht den Westflügel. Die anderen kommen mit mir.«
Sobald unsere Mitbrüder das Verlies verlassen haben, sieht Padric mich an. »Ich werde das Gefühl nicht los, dass wir Conan finden sollen.«
Robin schnaubt. »Und ich fürchte, wir finden etwas, das wir gar nicht finden wollen .«
»Du meinst, etwas anderes als einen Freund, der ermordet wurde und dessen Leiche von satanischen Zeichen umgeben ist?« Padric bekreuzigt sich. »Gott sei seiner Seele gnädig.«
»Kommt jetzt!«, sage ich. »Wir bleiben zusammen. Niemand geht allein.«
Meine Freunde folgen mir in den Vorraum des Kerkers. Hintereinander gehen wir eine Treppe hoch. Robin, der vor mir die Stufen hinaufsteigt, bleibt auf halber Höhe plötzlich stehen und lehnt sich mit ausgestrecktem Arm gegen die Wand. »Oh my God!«
»Was ist?«
»Blut.« Er
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