Das Testament des Satans
noch hören, denn eine heftige Bö übertönt das Geklapper der Signale.
Während er auf eine Antwort wartet, husche ich zum Tisch hinüber und ziehe vorsichtig das Schwert aus der Scheide. Die Klinge ist abgenutzt und schartig, aber immer noch scharf wie ein Rasiermesser.
Ich packe den Griff mit beiden Händen und halte das Schwert leicht nach hinten über meinen Kopf. Diese Stellung heißt La Posta di Falcone – die Wacht des Falken. Ein Hieb kann den Schwertarm des Gegners abtrennen. Oder, wenn ich die Klinge herumreiße, dessen Kopf. Mit erhobenem Schwert schleiche ich mich an ihn heran.
Da, Leuchtzeichen von der Tombelaine.
Durch die Glasscheiben kann ich das schwache Blinken kaum erkennen. Die ersten Signale bekomme ich nicht mit.
Ich schleiche mich noch näher an. Jetzt kann ich mitlesen.
S-I-R-E-O-G-H-A-N-W-A-L-L-E-Y-S
Mich durchzuckt es kalt.
Sir Eoghan Walleys?, frage ich mich verwirrt. Woher wissen sie von Eoghan? Er ist in der Prieuré de Genêts. Oder ist er entgegen meinem Befehl zur Tombelaine geritten?
Eoghan, du schottischer Trotzkopf, was tust du denn?
Der Assassino signalisiert der englischen Garnison.
Was geht hier vor? Was ist mit Eoghan?
»Zeit zu beichten!«, sage ich laut.
Der Frater fährt herum und starrt mich erschrocken an. »Geh zum Teufel!«
»Was bekommst du für deinen Verrat?«
Im Kerzenschein sehe ich sein Gesicht. Er hat es mit schwarzem Leder verhüllt – nur die Augen sind zu erkennen.
Ich zögere einen Moment, ihn mit einem Hieb zu töten: Ist er Yannic?
Er wirft sich zur Seite und versucht, an mir vorbei zur Tür zu gelangen. Aber gegen das Schwert kann er nichts ausrichten.
Ich lasse die Waffe niedersausen, doch ich verfehle ihn. Die Klinge verfängt sich in dem dicken Wollstoff und schlägt mit der Spitze auf den Fliesenboden.
Er zieht seinen Dolch und wirft sich mit erhobener Klinge auf mich.
Ich weiche zurück und reiße das Schwert hoch, doch er ist so tollkühn, dass er noch einmal auf mich einsticht. Sein Dolch verfehlt nur knapp meinen Hals.
Er ist viel zu nah für die lange Klinge des englischen Schwertes! Zurück, Sandra, zurück!
Mit einem Hieb schlage ich ihm den Dolch aus der Hand. Er fällt klappernd zu Boden. Aber er gibt nicht auf. Sofort geht er mit der geballten Faust auf mich los und trifft mich im Gesicht.
Benommen taumele ich zurück.
Noch ein Hieb. Wieder stolpere ich rückwärts. Dann reiße ich das Schwert hoch.
Er bleibt stehen. Er weiß, was ihn erwartet: der Tod.
Meine Finger sind schweißnass, mein Herz pocht wie wild.
Und wieder zögere ich, ihn jetzt zu töten.
Und wenn es nun doch Yannic ist?
Was empfinde ich für ihn? Ist da noch etwas anderes als Enttäuschung, Erbitterung und Wut?
Plötzlich prescht er vor, wirft sich mit der Schulter gegen mich, sodass ich stolpere und stürze, wirbelt herum und flüchtet mit wehender Kukulle zum Tisch. Er zieht etwas unter dem Purpurmantel hervor, der über die Stuhllehne gleitet und zu Boden fällt, schiebt es unter sein Skapulier und stürmt aus dem Gästesaal.
Ich rappele mich auf und hebe seinen Dolch auf.
Verdammt! War das die Teufelsbibel?
Yannic
Kapitel 36
Auf der Plattform des eingestürzten Westflügels
Zwanzig Minuten nach zwei Uhr nachts
Mir bleibt fast das Herz stehen, als sich plötzlich von hinten eine Hand auf meine Schulter legt. »Yann? Du siehst aber gar nicht gut aus, mein Junge. Und du zitterst. Ich hoffe, da steht nicht dein Name: Ioannis.«
Ich drehe mich zu ihm um. Es ist Le Coz. Er muss eben erst gekommen sein. Wo ist er die ganze Zeit gewesen?
»Komm, Yann!« Corentin hakt sich bei mir unter, tätschelt meinen Arm, wie er es oft tut, wenn wir vertraulich miteinander reden, und führt mich durch die Reihen der Fratres, die respektvoll zurückweichen. Yvain starrt mich nachdenklich an. Abelards Blick ist hasserfüllt.
Corentin hält ein ledergebundenes Büchlein in der Hand, das er zwischen den Falten seiner Kukulle verbirgt, als er sich umwendet und um Ruhe bittet: »Meine Brüder … meine Brüder! Seid still und rüstet euch mit dem Schwert des Glaubens! Denn der Antichrist ist hier!«
Ein beunruhigtes Raunen weht durch die Reihen.
»… hab’s dir ja gleich gesagt!«, flüstert Piccolet mit vor Angst aufgerissenen Augen. »Er ist hier!«
»Er ist hier!«, bestätigt Corentin. Das Notizbuch hält er immer noch, als ob er es völlig vergessen hat, in der Hand, sodass nur ich es sehen kann. Was hat er damit vor? »Er ist hier, meine
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