Das Testament des Satans
seinem blonden Haar glänzt, glaubt man, einen Heiligenschein zu sehen. Padric zieht ihn oft damit auf, indem er scheinbar geblendet den Blick abwendet. Padric und Jourdain, der Waliser und der Wikinger, die beiden haben sich gesucht und gefunden. Dieselben lautstarken dramatischen Auftritte, dieselbe anstrengende, aber liebenswerte Art, derselbe umbarmherzige Humor, ohne Rücksicht auf Verluste.
»Satan ist in dir, Raymond de Troyes.«
Raymond schüttelt entsetzt den Kopf und flüstert ein halbherziges »Nein!«.
Doch Corentin kennt keine Gnade. »Er ist in dir, Robin of Arundel. Und in dir, Padric of Caernarfon.«
Padrics Augen sind aufgerissen, wie vorhin, als er nach seiner Beichte bei Corentin im Cachot du Diable seine Satansvision hatte. Er ist schon wieder dem Teufel auf der Spur, auf dem schnellsten Weg ins Höllenfeuer. Ich taste nach seiner Hand und umklammere sie, um ihm Halt zu geben und ihn notfalls mit Gewalt aus seiner Vision herauszureißen, bevor seine Seele im Feuer schmurgelt. Der Blick, mit dem er mich ansieht, trifft mich im Innersten. Padric hat panische Angst – drei Worte von Corentin, nur drei Worte, und mein Gespräch im Kreuzgang, um Padric zu beruhigen, ist zunichtegemacht. Na toll!
Warum Corentin mich verschont? Keine Ahnung! Aber der Kelch geht an mir vorüber.
»Satan trägt die Maske des Guten, des Vollkommenen, des Heiligen. Er kann sich in jedem von uns verbergen! Seid wachsam! Es wird eine Schlacht geben, kein Kampf im Himmel zwischen Engeln und Dämonen, sondern eine Schlacht hier auf Erden, auf dem Mont, in dieser Abtei, mit zerfetzten Leibern, mit gebrochenen Knochen, mit zertrümmerten Schädeln, mit Schmerz und Blut und Tod. Das erste Siegel ist zerbrochen!
›Und ich sah, als das Lamm eines von den sieben Siegeln öffnete, ein weißes Pferd, und der darauf saß, hatte einen Bogen. Und ihm wurde ein Siegeskranz gegeben, und er zog aus, um zu siegen.‹«
Verstohlen taste ich nach Conans Amulett unter meinem Skapulier, aber ich ziehe es nicht hervor.
Ich spüre, wie Padric zu zittern beginnt, als Corentin auf Conans Leichnam zu seinen Füßen deutet:
»Da, der Siegeskranz! Keine Krone und kein Lorbeer, nein!« Seine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern, das sich im Tosen des Sturms verliert. »Das Sigillum Dei ist der Siegeskranz! Wem von uns wurde er gegeben? Wer von uns hat den Leib und das Blut unseres geliebten Bruders geopfert?«
Als Corentin verstummt, ist niemand zu einer Regung imstande. Seine Worte werden vom Sturm fortgerissen.
Dann wogt plötzlich beunruhigtes Geschrei auf.
»Meine Brüder … meine Brüder, hört mir zu!« Corentin wedelt mit dem ominösen Notizbuch, um sich erneut Gehör zu verschaffen. »Das erste Siegel der Offenbarung ist heute Nacht zerbrochen! Die schreckliche und blutige Progression des Todes ist in Gang gekommen. Wir müssen beten! Aber wir müssen auch die Zeichen deuten. Wann wird das nächste Siegel zerbrochen? Wann wird das nächste Opfer sterben? Wer von uns kann die Zeichen deuten?«
Niemand wagt sich vor, alle starren Corentin an und warten ab, was er zu sagen hat.
»Wir haben jemanden zu Gast in der Abtei, der sich mit magischen Symbolen auskennt, mit apokalyptischen Zeichen und mit den Regeln für den Umgang mit dem Satan.«
Verwirrtes Gemurmel und bestürzte Gesichter.
»Seine Heiligkeit höchstselbst hat sie mit seinem päpstlichen Segen zu uns geschickt. Sie wird uns helfen, wenn wir sie darum bitten! Sie wird uns erklären, was hier vorgeht. Sie wird die Mächte des Bösen bannen, die uns bedrohen!«
Atemlose Stille. Meint er das ernst?
Erst jetzt bemerke ich, dass sein Brustkreuz verkehrt herum hängt. Hat er das Kreuz verloren und wieder angelegt, ohne zu bemerken, dass der Gekreuzigte zur Brust gewandt hängt?
»Ihr alle wisst, wer ihr Vater war. Fra Luca d’Ascoli, der ›Richter Gottes‹, der während des Konzils in Konstanz drei Päpste absetzte und damit das jahrzehntelange Schisma der Kirche beendete. Fra Luca d’Ascoli, der dominikanische Inquisitor von Rom, der Freund und Vertraute von Papst Martin, der Stellvertreter Seiner Heiligkeit. Fra Luca d’Ascoli, den sein Freund der Papst zum Kardinal ernennen wollte und der vor einigen Jahren, bevor er ermordet wurde, zum Gegenpapst gewählt werden sollte. Fra Luca d’Ascoli, den Papst Nikolaus heiligsprechen will. Er war ihr Vater.«
Er schweigt einen Augenblick, dann fährt er fort: »Ich habe Fra Luca damals in Konstanz kennengelernt, als er
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