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Das Testament eines Excentrischen

Das Testament eines Excentrischen

Titel: Das Testament eines Excentrischen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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erbaut worden war. Da Harris T. Kymbale diese zweite bereits auf dem Wege von Omaha nach Sacramento befahren hatte, war es ihm leicht, jetzt Vergleiche zwischen beiden anzustellen.
    Leider war das Wetter nicht schön und der Himmel sah recht drohend aus. Seit vierundzwanzig Stunden hatte die elektrische Spannung in der Atmosphäre ununterbrochen zugenommen. Schwere Gewitterwolken zogen vom Horizonte herauf, und Harris T. Kymbale konnte hier der Entwickelung eines jener mächtigen Meteore beiwohnen, die in Gebirgsgegenden besonders großartig auftreten.
    Das Gewitter schwoll bald zu erschreckender Heftigkeit an, zu einem jener »Blizzards«, die die Menschen in ihre Häuser geradezu einsperren. Auch die Reisenden wurden etwas unruhig, obwohl Eisenbahnzüge, selbst in voller Bewegung, wenig gefährdet erscheinen, da das elektrische Fluidum durch die Schienen gut abgeleitet wird. Die Häufigkeit der Blitze, die einander von Secunde zu Secunde folgten, der knakernde Donner, der in endlosem Rollen widerhallte, die Blitzschläge, die Felsen und Bäume längs der Bahnlinie trafen, die in Lawinen herabpolternden losgelösten Stein-und Erdmassen, das Entsetzen der Thiere, der Büffel, Antilopen, schwarzen Bären und des Damwildes… alles das bot den Reisenden am Nachmittage des 20. ein gewiß unvergeßliches Schauspiel.
    Damit bekam der Berichterstatter der »Tribune« nicht nur Gelegenheit, seinem Blatte mehrere hochinteressante Artikel zuzusenden, sondern auch noch eine ganz eigenartige, die Thierwelt der Felsengebirge betreffende Entdeckung mitzutheilen.
    Gegen fünf Uhr und im tollsten Gewitter keuchte der Zug langsam eine sehr starke Steigung hinaus. Harris T. Kymbale war auf dem Perron stehen geblieben, während seine Reisegefährten auf den Polsterbänken im Waggon saßen. Da bemerkte er einen prächtigen Bären, einen Grizzly mit schwarzem Fell, der auf den Hintertatzen längs der Bahn hintrottete, doch durch den Kampf der Elemente, der ja auf die Thiere stets einen lebhaften Eindruck macht, geängstigt zu sein schien. Und siehe da, geblendet von einem Blitze, erhebt der Plantigrade (Plattsüßter) die rechte Tatze bis zur Stirn, um sich regelrecht zu bekreuzen.
    »Ein Bär, der das Zeichen des Kreuzes macht! rief Harris T. Kymbale. Das ist doch nicht möglich!… Ich muß wohl falsch gesehen haben!…«
    Nein, er hatte richtig gesehen, und wiederholt bekreuzigte sich der zottige Grizzly, wenn ihn ein heller Blitz erschreckte.
    Nach Erreichung des Rückens der Steigung, rollte der Zug schneller weiter und ließ den Bären bald hinter sich zurück.
    Sofort holte der Reporter sein Notizbuch heraus.
    »Grizzly, schrieb er hinein, neue Art der Piantigraden. Macht während eines Gewitters das Zeichen des Kreuzes. Unter der Fauna der Felsengebirge als,
Ursus Christianus’
zu bezeichnen.«
    Diese Notiz enthielt dann der Brief, der am nächsten Tage von Helena an die Redaction der »Tribune« abging.
    Nachdem die Locomotive noch an den Stationen Missoula, Bonita, Drummond und Garrison gehalten und einen langen Tunnel unter dem Rücken des Mullan passirt hatte, lief sie am Morgen des 21. in den Bahnhof von Helena ein.
    Diese auf der Ostseite der Felsenberge, in der Höhe von tausend Toisen und an einem zum Missouri abfließenden Bergstrome gelegene Stadt bildet einen bedeutenden Niederlagsplatz für die Grubenproducte der Umgegend und zählt vierzehn-bis fünfzehntausend Bewohner. Der Zug der Northern Pacific hielt hier nur wenige Stunden und rollte nach den vom Bette des Yellowstone und seiner zahlreichen Nebenflüsse durchschnittenen Ebenen hinunter.
    In dieser Gegend hausten früher die Sippen der Flachköpfe, der Schwarzfüße, der Raben, Cheyennen, Modocs und Assiniboinen, die jetzt in verschiedene Enclaven zurückgedrängt sind, über deren Nachbarschaft sich die weiße Bevölkerung freilich nicht wenig beklagt.
    Nachdem der Zug sich über Loqari und Bozeman nach Südosten gewendet hatte, gelangte er bei Livingstone an den Yellowstone River, weiterhin nach mehreren Stationen, wie Lauri, mit einer Zweigbahn nach dem Nationalparke, Howard und Miles City, und ging dann von Montana nach Norddakota über und weiterhin nach der auf dem vierundsiebzigsten Längengrade liegenden Stadt Beach.
    Die Northern Pacificbahn durchzieht Norddakota auf ungeheueren, in der Nachbarschaft der Heart Buttes und jenseit des Fort Lincoln etwas erhöht liegenden Ebenen. Schließlich erreicht sie den Missouri bei Edwinton, der Hauptstadt des

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