Das Testament eines Excentrischen
Staates, der die zahlreiche deutsche Bevölkerung mit Vorliebe den Namen Bismarckstadt beilegt.
Von der Station Jamestown aus hätte Harris T. Kymbale nun eine direct nach Yankton führende Nebenbahn benutzen können. Es erschien ihm aber angenehmer, über Valley City, Oriska und Cassilton bis Fargo zu fahren, wo er am Morgen des 23. an der Westgrenze von Minnesota eintraf.
Hier, nahe der Grenze dieses Staates, befand sich augenblicklich, nach dem Auswürfeln am 10., der geheimnißvolle X. K. Z., der in der Hauptstadt Saint-Paul ruhig abwartete, daß ihn die »Ziehung« vom 24…. ja, nach welchem Felde?… weisen würde. Jedenfalls in die Nähe des Zieles, wenn nicht gar an das Ziel selbst, was den Berichterstatter der »Tribune« trotz seiner Zuversicht doch schon im voraus unruhig machte.
Das von Minnesota 1861 abgetrennte Dakota zerfällt in zwei ziemlich gleichgroße Vierecke, deren eines südisch von dem anderen liegt. Das sehr hochgelegene, doch wenig bergige Land unterscheidet sich wesentlich von seinem westlichen Nachbar. Seine weiße Bevölkerung hat sich der Mehrzahl nach in den südöstlichen Theil gezogen, wo sich der vorzügliche Boden zum Anbau von Tabak, Mais, Hafer und Gemüsen eignet, während der Norden von zahlreichen Binnenseen und Teichen durchsetzt ist. Der Missouri strömt in schräger Richtung hindurch bis jenseit Yanktons, von wo aus er sich nach Omaha hinunter wendet, während der Rothe Fluß die östliche Landesgrenze nach Minnesota zu bildet. 1
Die Eisenbahn, die sich in Fargo gabelt, folgt eine Strecke weit diesem Flusse und führt nach Yankton, dem früheren Regierungssitz von Süddakota, den jetzt Pierre City bildet, durch dessen centrale Lage sich dieses den Verwaltungsgrundsätzen der Union gemäß mehr empfahl.
Ohne sich zu erkennen zu geben, verweilte Harris T. Kymbale in Fargo den ganzen Tag. Vielleicht hätte er, seiner touristischen Neigung folgend, einige Flecken am linken Ufer des Rothen Flusses und die ihnen gegenüberliegenden am rechten Ufer besucht, daran hinderte ihn aber ein ganz unerwarteter Zwischenfall.
Während er am Nachmittage in der Umgebung der kleinen Stadt lustwandelte, trat plötzlich ein Mann an ihn heran. Es war offenbar ein Amerikaner von etwa fünfzig Jahren und mittlerer Größe, der eine gebogene Nase, kleine blinzelnde Augen und im Ganzen ein wenig anziehendes Aeußere hatte.
»Mein Herr, begann der Mann, wenn ich nicht irre, habe ich Sie aus dem Zuge der Northern Pacific aussteigen sehen…
– Das stimmt, mein Herr, bestätigte Harris T. Kymbale.
– Mein Name ist Hoggarth, stellte sich das Individuum vor, Len Hoggarth, Len William Hoggarth.
– Nun, Herr Len William Hoggarth, bitte, was wünschen Sie von mir?
– Sie wollen sich jedenfalls nach Yankton begeben? fragte der Mann weiter.
– Ganz recht… nach Yankton.
– So erlauben Sie, Ihnen meine Dienste anzubieten…
– Ihre Dienste?… Wie soll ich das verstehen?
– Gestatten Sie mir vor allem eine einfache Frage, geehrter Herr. Sie sind allein hierher gekommen?…
– Allein? fragte der Reporter etwas verwundert… Allerdings… allein!
– Ihre Frau Gemahlin ist nicht mitgekommen?…
– Meine Frau?…
– Nun… es läßt sich auch dann machen. Hier ist deren Anwesenheit nicht nothwendig, um eine Scheidung zu erreichen.
– Eine Scheidung?… Sie meinen eine Ehescheidung, Herr Hoggarth?
– Gewiß; ich erledige alle nöthigen Formalitäten für Ihre Scheidung.
– Aber um sich scheiden zu lassen, muß man doch verheiratet sein, und Sie dürfen getrost glauben, daß diese Voraussetzung bei mir nicht zutrifft.
– Wie? Sie sind gar nicht verheiratet und gehen doch nach Yankton? rief Len Hoggarth, der sich vor Erstaunen gar nicht fassen zu können schien.
– Nun sagen Sie mir, was sind Sie denn eigentlich, Herr Hoggarth?
Auf der Locomotive sah er weder Führer noch Heizer. (S. 438.)
– Ich bin Zutreiber für Ehescheidungen und Zeuge bei solchen.
– Dann bedaur’ ich… antwortete Harris T. Kymbale, doch Ihre Dienste würden mir nicht nützen können.«
Der Reporter hätte sich über das Anerbieten des »ehrenwerthen« Len William Hoggarth übrigens gar nicht zu wundern brauchen. Wenn in Illinois Ehescheidungen schon etwas so Gewöhnliches sind, daß man den Reisenden zurufen kann: »Chicago, zehn Minuten Aufenthalt, Zeit genug, sich scheiden zu lassen!« so ist dort die Trennung einer Ehe doch noch von gewissen Bedingungen abhängig. In Süddakota aber
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