Das Testament eines Excentrischen
darunter litten, doch nur das eine Ziel verfolgen, seinen ihm zunächst vorgeschriebenen Platz auf kürzestem und schnellstem Wege zu erreichen.
Außerdem hatte Harris T. Kymbale in dem von ihm schon häufig besuchten Staate New York nichts mehr zu lernen. Zwischen seiner Hauptstadt und Chicago bestehen ebenso zahlreiche wie bequeme Verbindungen. Dahin zu gehen, ist die Sache eines einzigen Tages für die Amerikaner, deren Schnellzüge den Vierundzwanzigstundenrecord für tausend Meilen (1609 Kilometer) halten.
Alles in allem hatte Harris T. Kymbale sich über den Anfang seiner bevorstehenden Fahrten nicht zu beklagen; vom Staate New York mußte er sich ja nach Neumexiko begeben, wo er seine Wißbegier als Tourist reichlich befriedigen konnte. Es war wohl auch zu vermuthen, daß der Zufall beim Würfeln dahin noch mehrere am Match betheiligte Spieler verschlagen würde, die, wie Hermann Titbury, Lissy Wag und deren von ihr unzertrennliche Jovita Foley, diesen Staat noch nicht kannten.
Der Staat New York ist der erste der Conföderation seiner Bevölkerung nach, die nicht weniger als sechs Millionen Köpfe beträgt, doch nur der neunundzwanzigste seiner Ausdehnung nach, da er nur eine Fläche von neunundvierzigtausend Quadratmeilen (127350 Quadratkilometer) bedeckt. Es ist der »Empire State«, wie man ihn zuweilen nennt, ein dreieckiges Stück Land, dessen geradlinig verlaufende Seiten wegen Mangels natürlicher Grenzen willkürlich gezogen sind.
Freilich hatten die seiner Partner, die noch hierher kamen, ebensowenig wie Harris T. Kymbale, die Möglichkeit, daselbst während der zwei Wochen von einer »Lotterieziehung« zur andern zu verweilen. Gleichwie er mußten sie, nachdem sie sich auf dem Brückensteig am Niagara gezeigt hatten, nach Santa-Fé, der Hauptstadt von Neumexiko, weiterreisen. Begaben sie sich dabei doch nach New York, so war damit jeder Besuch anderer Städte ausgeschlossen, obgleich viele davon recht sehenswerth sind, wie z. B. Albany, der Sitz der Regierung, mit hundertzehntausend Einwohnern und schönen Museen, vortrefflichen Schulen, herrlichen Parken und dem Regierungspalaste, der nicht weniger als zwanzig Millionen Dollars gekostet hat; Rochester, die »Stadt des Mehls« und gleichzeitig ein Hauptplatz von Fabriken, deren Betrieb durch die mächtigen Wasserfälle des Genesees sehr erleichtert wird; ferner Syracuse, die reiche Stadt des Salzes, das ihr die unerschöpflichen Salinen von Onondaga liefern, und noch verschiedene andere, eine ganze Familie von Städten, die der Staat mit gerechtem Stolze aufweisen kann.
Seine größte Stadt besucht zu haben, wäre – wie man zu sagen pflegt – schon allein die Reise werth. Man muß es gesehen haben, dieses New York zwischen dem Hudson und dem East River, weit ausgedehnt auf der Halbinsel Manhattan, auf der es hundertsechs Quadratkilometer oder zehntausendsechshundert Hektar bedeckt, und das zusammen dreihundertsechzig Quadratkilometer – mehr als Paris und als London – einnehmen wird, wenn Brooklyn und Long Island mit ihm zu einem einzigen Gemeinwesen verbunden sein werden! Man muß seine Alleestraßen, seine monumentalen Bauwerke bewundert haben, seine tausend Kirchen – was für siebzehnhunderttausend Einwohner gar nicht zu viel erscheint – seinen Broadway, seine sieben Meilen (11.260 Meter) lange Fünfte Avenue, und die in weißem Marmor aufgeführte Saint-Patrice-Domkirche, den Centralpark von dreihundertfünfundvierzig Hektaren mit seinen Rasenflächen, Gehölzen, Wasserläufen, in die der große Aquäduct von Croton ausmündet, seine Hängebrücke über den East River nach Brooklyn, der sich später noch eine über den Hudson zugesellen wird, seinen Hafen, dessen Waarenverkehr man auf achthundert Millionen Dollars veranschlagt, seine weite Bai, die mit Inseln und Holmen übersäet ist, darunter Bedloe’s Island, wo sich die riesenhafte Statue Bartholdi’s erhebt, die Figur der Freiheit, die die Welt erleuchtet!
Alles das hätte jedoch, wie schon erwähnt, für den Hauptberichterstatter der »Tribune« nicht mehr den Reiz der Neuheit gehabt. Nach dem Besuche des Niagara wollte er sich, ohne im geringsten abzuweichen, streng an seine Reiseroute halten.
Es war ja schon der 11. Mai, und spätestens am Vormittage des 21. mußte er in Santa-Fé eingetroffen sein. Zwei durch fünfzehn-bis sechzehnhundert Meilen (2500 bis 2700 Kilometer) von einander getrennte Staaten konnte man doch nicht wohl als benachbarte ansehen.
Auf der
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