Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Testament eines Excentrischen

Das Testament eines Excentrischen

Titel: Das Testament eines Excentrischen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
Eisenbahnverbindung hatte.
    Am nächsten Tage landete er, nach einer kurzen Fahrt von fünfundzwanzig Meilen, beim Dorfe Niagara Falls.
    Was der Reporter auch sagen mochte über diese berühmten, jetzt vielfach bekannten Fälle, die industriell schon sehr stark ausgenutzt werden und es in Zukunft noch weit mehr sein werden, wenn man ihre sechzehn Millionen Pferdekräfte gebändigt haben wird, so dürften doch weder das Thor der Airondaks, diese herrliche Vereinigung von Engpässen, Thalkesseln und Waldmassen, die von der Union zum Nationaleigenthum erklärt werden sollen, noch die Palissaden des Hudson, weder der Centralpark der Metropole, noch der Broadway oder die Brücke von Brooklyn, die so kühn über den östlichen Stromarm geworfen ist, bei Vergnügungsreisenden mit den Wundern des Hufeisenfalles einen Vergleich aushalten.
    Nein, diesem donnernden Abstürzen der Gewässer des Eriesees in den Ontariosee durch den Niagaracanal ist gar nichts an die Seite zu stellen. Der Lorenzostrom ist es, der hier vorüberfluthet, sich an der Spitze der Ziegeninsel bricht und auf der einen Seite den amerikanischen, auf der anderen den canadischen Fall in Form eines Hufeisens bildet. Und dazu der wüthende Wogenschwall am Fuße der beiden Fälle, nebst den meergrünen Abgründen in der Mitte des zweiten, wonach der besänftigte Strom sein ruhiges Wasser drei Meilen weit bis zur Suspension-Bridge (Hängebrücke) hingleiten läßt, von der aus es nochmals in strudelnden Stromschnellen dahinschießt.
    Früher erhob sich der Terrapinethurm auf den äußersten Felsen der Ziegeninsel, umschäumt von Wasserwirbeln, deren feuchter Staub ihn bis zur Spitze umhüllte und am Tage einen Sonnen-, in der Nacht einen Mondregenbogen entstehen ließ. Jetzt hat man den Thurm abtragen müssen, denn seit anderthalb Jahrhunderten ist der Fall, durch Abnagung der Felsen, etwa um hundert Fuß zurückgewichen, so daß das Bauwerk bald in den Abgrund zu stürzen drohte. Heute führt nur ein schwanker Fußsteig von einem Ufer des brausenden Stromes zum andern und gestattet den zweifachen Wasserschwall zu bewundern.
    Geleitet von vielen canadischen und amerikanischen Besuchern, die ihn erwartet hatten, beschritt Harris T. Kymbale den Fußsteig bis zur Mitte, hütete sich aber streng, dessen zur Dominion gehörenden Theil zu betreten. Nach einem Hurrah aus tausend Kehlen, das begeistert ausgebracht den Höllenlärm des Wassers übertönte, kehrte er zum Dorfe Niagara Falls zurück, dessen Umgebung jetzt durch zahlreiche Maschinengebäude und gewerbliche Anlagen verunstaltet wird. Man bedenke aber nur, was es bedeutet, einen stündlichen Abfluß von hundert Millionen Tonnen industriell auszunutzen!
    Der Reporter drang also nicht in die grünen Gehege der Ziegeninsel ein, er stieg nicht nach der unter der Insel ausgehöhlten Grotte hinunter und begab sich auch nicht bis unter den dicken Wasserschwall des Hufeisenfalls, wozu man die canadische Grenze überschreiten muß; dagegen vergaß er nicht, das Postamt des Dorfes aufzusuchen, von wo aus er einen Check über tausend Dollars an die Ordre des Notars Tornbrock absandte – ein Papier, daß der Cassierer der »Tribune« sich gewiß beeilen würde einzulösen, sobald es präsentiert wurde.
    Am Nachmittage und nach einem ihm zu Ehren veranstalteten ausgezeichneten Lunch traf Harris T. Kymbale wieder in Buffalo ein und verließ diese Stadt an demselben Abend, um nun in der vorgeschriebenen Frist den zweiten Theil seiner Reise auszuführen.
    Als er eben den Bahnwagen besteigen wollte, trat der Bürgermeister der Stadt, der ehrenwerthe H. V. Exulton, auf ihn zu.
    »Sie thäten recht daran, mein Herr, begann er sehr ernsten Tones, sich nicht noch weiter mit zwecklosen Abstechern aufzuhalten…
    – Und wenn mir das nun paßte! erwiderte Harris T. Kymbale, der sich eine derartige Bemerkung, selbst wenn sie von so hoher Stelle ausging, nicht gefallen lassen wollte. Mir scheint, ich habe das volle Recht…
    – Nein, mein Herr, das haben Sie ebensowenig, wie der Bauer auf dem Schachbrett das, einen gerade vor ihm stehenden Springer zu nehmen…
    – Oho, ich bin doch mein eigener Herr!
    – Weit gefehlt, Verehrtester!… Sie gehören im Grunde denen, die auf Sie gewettet haben, und da bin ich auch mit fünftausend Dollars betheiligt! »
    Der ehrenwerthe H. V. Exulton hatte ja eigentlich recht, und auch im eigenen Interesse konnte der Berichterstatter der »Tribune«, selbst auf die Gefahr hin, daß seine Berichte

Weitere Kostenlose Bücher