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Das Testament eines Excentrischen

Das Testament eines Excentrischen

Titel: Das Testament eines Excentrischen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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endlos langen Stunden am Schmerzenslager ihrer armen Freundin. Keine Krankenwärterin hätte so viel Sorgfalt, Aufmerksamkeit und Eifer entwickeln können. Uebrigens hätte sie ihren Platz auch keiner Fremden abgetreten.
    Am nächsten Tage schlief Lissy Wag, die sich am frühen Morgen eine Zeitlang ziemlich beklemmt gefühlt hatte, bald wieder ein.
    Es war nun der 9. Mai und im Saale des Auditoriums sollten zur Fortsetzung des Match Hypperbone zum fünftenmale die Würfel fallen.
    Jovita Foley hätte zehn Jahre ihres Lebens darum gegeben, dabei gegenwärtig sein zu können. Doch, die Kranke verlassen?… Nein, daran war nicht zu denken. Da erwachte aber Lissy Wag schon wieder und redete ihre Freundin an.
    »Meine gute Jovita, sagte sie, bitte unsere Nachbarin, daß sie kurze Zeit bei mir bleibt…
    – Du willst, daß…
    – Ich will, Du sollst nach dem Auditorium gehen. Es soll doch um acht Uhr geschehen, nicht wahr?
    – Ja, pünktlich um acht.
    – Nun sieh, zwanzig Minuten darauf kannst Du ja schon wieder zurück sein. Ich sähe Dich so gern dort, und da Du glaubst, daß ich Aussichten haben könnte…«
    Ob ich das glaube! hätte Jovita Foley drei Tage vorher gewiß gerufen. Heute antwortete sie überhaupt nicht. Sie drückte einen Kuß auf die Stirn der Kranken und holte die Nachbarin, eine würdige Dame, die sofort auf dem Sessel am Bette Platz nahm. Dann eilte sie hinunter, warf sich in einen Wagen und ließ sich nach dem Auditorium fahren.
    Um sieben Uhr vierzig Minuten stand Jovita Foley an der Thür des schon überfüllten Saales. Gleich beim Eintreten erkannt, wurde sie mit hundert Fragen bestürmt.
    »Wie steht es mit Lissy Wag?
    – Ganz ausgezeichnet,« erklärte sie mit der Bitte, ihr Platz zu machen, damit sie nach der Bühne gelangen könne. Das geschah denn auch.
    Da das Ableben des jungen Mädchens durch die Morgenblätter ausdrücklich bestätigt worden war, wunderten sich einige Anwesende nicht wenig, deren Busenfreundin hier, und nicht einmal in Trauerkleidung, erscheinen zu sehen.
    Zehn Minuten vor acht Uhr betraten der Vorsitzende und die Mitglieder des Excentric Club, in ihrer Mitte Meister Tornbrock, die Bühne und nahmen vor dem Tische daselbst Platz.
    Vor den Augen des Notars war die Landkarte ausgebreitet. Die Würfel lagen neben dem ledernen Becher. Noch fünf Minuten, und an der Uhr des Saales mußte es acht schlagen.
    Da unterbrach eine dröhnende Stimme die nur langsam eintretende Ruhe.
    An dem brummenden Basse erkannte man die Stimme als die des Commodore.
    Hodge Urrican verlangte das Wort zu einer kurzen Bemerkung. Es wurde ihm zugestanden.
    »Mir scheint es, Herr Präsident, sagte er, jedes weitere Wort immer schärfer und lauter aussprechend, mir scheint es, man dürfe, um dem Willen des Verstorbenen genau nachzukommen, heute als zum fünftenmale nicht würfeln, da die fünfte Partnerin gar nicht im Stande ist…
    – Jawohl… ganz richtig!« heulten mehrere aus der Gruppe, wo Hodge Urrican sich aufhielt, und mit noch durchdringenderer Stimme als die andern der aufbrausende Mann, der den Commodore gestern unter Jovita Foley’s Fenstern begleitet hatte.
    »Still, Turk, still! herrschte ihn Hodge Urrican an, als wenn er zu einem Hunde spräche…
    – Ich soll still sein…
    – Augenblicklich!«
    Turk zwang sich, unter dem flammensprühenden Blicke Hodge Urrican’s zu schweigen.
    »Wenn ich diesen Vorschlag mache, fuhr der sechste Partner fort, so geschieht das, weil ich ernste Gründe habe zu glauben, daß die fünfte Partnerin weder heute noch morgen wird abreisen können…
    – Nicht einmal in acht Tagen, warf aus dem Hintergrunde einer der Anwesenden ein.
    – Weder in acht Tagen, noch in vierzehn oder dreißig Tagen, versicherte der Commodore Urrican, einfach weil sie diesen Morgen fünf Uhr siebenundvierzig Minuten gestorben ist.«
    Ein langanhaltendes Gemurmel folgte dieser Erklärung. Es wurde aber bald durch eine weibliche Stimme übertönt, die dreimal rief:
    »Das ist nicht wahr… nicht wahr… nicht wahr! Ich selbst, Jovita Foley, habe Lissy Wag erst vor fünfundzwanzig Minuten lebend und ganz kräftig lebend verlassen!«
    Das veranlaßte neues Geschrei, neue Proteste von Urrican und seinen Anhängern. Nach der so bestimmten Erklärung des Commodore konnte von Lissy Wag nicht mehr die Rede sein. Hätte sie nicht todt sein müssen, da er ihr Ableben verkündigte?
    Doch wie dem auch sein mochte, es wäre schwierig gewesen, Hodge Urrican’s Aussage zu bejahen.

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