Das Testament
entgegenrollte. Die Start- und Landebahnen waren nass, und nach wie vor fiel schwerer Schnee. Als Nate die Fluggastbrücke bestieg, traf ihn der Winter mit aller Kraft, und er musste an die feuchtwarmen Straßen von Corumba denken. Josh wartete am Gepäckband und hatte selbstverständlich einen Mantel für ihn mitgebracht.
»Du siehst grauenhaft aus«, waren seine ersten Worte.
»Vielen Dank.« Nate nahm den Mantel und zog ihn an.
»Du bist klapperdürr.«
»Wenn du sieben Kilo verlieren willst, musst du dir nur den richtigen Moskito außuchen.«
Sie schoben sich mit der Menge der einander stoßenden und rempelnden Menschen zum Ausgang. Je näher sie den Türen kamen, desto entsetzlicher wurde das Gedränge. Willkommen zu Hause, dachte Nate.
»Du reist ja mit leichtem Gepäck«, sagte Josh und zeigte auf seine Sporttasche.
»All meine irdische Habe.«
Ohne Socken und Handschuhe fror Nate, während er am Straßenrand darauf wartete, dass Josh mit dem Auto kam. In der Nacht hatte ein so schlimmer Schneesturm getobt, dass sich der Schnee an den Gebäuden über einen halben Meter hoch aufgetürmt hatte.
»Gestern waren es in Corumba vierunddreißig Grad im Schatten«, sagte Nate, während sie den Flughafen hinter sich ließen.
»Sag mir bloß nicht, dass dir das fehlt.«
»Doch. Mit einem Mal schon.«
»Hör mal, Gayle ist in London. Ich dachte, du könntest ein paar Tage bei mir zu Hause unterkriechen.«
Joshs Haus hatte Platz für fünfzehn Personen. »Na klar, gern. Wo ist mein Wagen?«
»In meiner Garage.«
Natürlich stand der geleaste Jaguar da, und zweifellos war er einwandfrei gewartet, gewaschen und gewachst, und Josh hatte sicher auch die monatlichen Leasing-Raten bezahlt. »Danke, Josh.«
»Ich habe deine Möbel bei einer Spedition eingelagert. Deine Kleidung und persönliche Habe sind im Wagen.«
»Danke.« Nate war nicht im mindesten überrascht.
»Wie fühlst du dich?«
» Großartig.«
»Hör mal, Nate, ich hab über das Denguefieber nachgelesen. Es dauert einen Monat, bis man sich vollständig davon erholt hat. Erzähl mir also keinen Scheiß.«
Einen Monat. Das war die Eröffnung in dem Schlagabtausch über seine Zukunft in der Kanzlei. Nimm noch einen Monat Urlaub, alter Junge. Vielleicht bist du ja zu krank, um zu arbeiten. Nate konnte das Drehbuch schreiben.
Aber es würde keinen Kampf geben.
»Ich bin ein bißchen schwach, nichts weiter. Ich schlafe ziemlich viel und muss viel Flüssigkeit zu mir nehmen.«
»Und was für Flüssigkeit ist das?«
»Du kommst gleich zur Sache, was?« .v
»Das tu ich immer.«
»Ich bin trocken, Josh. Du kannst ganz beruhigt sein. Es gibt keinen Rückfall.«
Das hatte Josh schon oft gehört. Da der Ton des Gesprächs etwas schärfer geworden war, als beide beabsichtigt hatten, schwiegen sie eine Weile.
Stellenweise kamen sie nur im Schritttempo voran.
Große Eisschollen trieben langsam den stellenweise zugefrorenen Potomac in Richtung auf Georgetown hinab. Während sie auf der Chain Bridge im Verkehr festsaßen, erklärte Nate kühl: »Ich gehe nicht wieder in die Kanzlei, Josh. Die Zeiten sind vorbei.«
Es war nicht zu erkennen, wie Josh darauf reagierte. Er hätte enttäuscht sein können, weil ein alter Freund und guter Prozessanwalt aufgab. Er hätte sich freuen können, weil jemand, der ihm schon lange Kopfschmerzen bereitete, die Kanzlei ohne großes Aufsehen verließ. Er hätte sich gleichgültig zeigen können, da Nates Fortgang vermutlich ohnehin nicht zu vermeiden war. Letzten Endes würde ihn das Verfahren wegen Steuerhinterziehung ohnehin die Zulassung als Anwalt kosten.
Er aber fragte einfach: »Warum?«
»Da gibt’s ‘ne Menge Gründe, Josh. Sagen wir einfach, dass ich müde bin.«
»Bei den meisten Prozessanwälten ist nach zwanzig Jahren die Luft raus.«
»Davon hab ich auch gehört.«
Damit war genug über den Ruhestand geredet worden. Nate hatte seinen Entschluss gefasst, und Josh hatte nicht die Absicht, daran etwas zu ändern. Also sprachen sie über Football, wie das Männer zu tun pflegen, die angesichts wichtigerer Aufgaben das Gespräch in Gang halten wollen. In zwei Wochen fand der Super Bowl statt, und die Redskins hatten sich nicht dafür qualifiziert.
Selbst unter ihrer dicken Schneeschicht wirkten die Straßen auf Nate schäbig.
Die Staffords besaßen außer einem großen Haus in Wesley Heights im Nordwesten der Stadt ein Sommerhäuschen an der Chesapeake Bay und eine Blockhütte in Maine.
Alle vier
Weitere Kostenlose Bücher