Das Testament
herausrutschen. »Wissen Sie, Euer Ehren«, sagte er im Versuch, das Gespräch vorsichtig in eine andere Richtung zu lenken, »der Fall ist nicht kompliziert. Das Vorverfahren dauert bestimmt nicht lange. Die anderen wollen, dass die Sache schnell über die Bühne geht, und wir wollen das auch. Da liegt ein ganzer Haufen Geld auf dem Tisch, und jeder will da ran. Warum können wir nicht das Vorverfahren kurzfristig terminieren und einen Zeitpunkt für das Verfahren festsetzen?«
Die Auseinandersetzung im Fall einer Testamentsanfechtung zu beschleunigen war alles andere als üblich. In Nachlasssachen tätige Anwälte wurden nach Stunden bezahlt. Warum also dann die Eile?
»Interessant«, sagte Wycliff. »Woran denken Sie?«
»Vielleicht könnten wir so bald wie möglich eine Besprechung ansetzen, bei der alle Anwälte an einem Tisch sitzen. Jeder soll eine Liste möglicher Zeugen und Dokumente vorlegen, die er im Verfahren aufzubieten gedenkt. Man könnte dreißig Tage für alle Aussagen vorsehen und den eigentlichen Prozeßbeginn von heute an gerechnet in neunzig Tagen.« .
»Das ist aber schrecklich schnell.«
»Beim Bundesgericht machen wir das immer so. Es funktioniert. Die Jungs auf der Gegenseite werden drauf anspringen, weil ihre Mandanten alle pleite sind.«
»Was ist mit Ihnen, Mr. O’Riley? Hat Ihre Mandantin es eilig, an das Geld zu kommen?«
»Hätten Sie es nicht eilig?« fragte Nate den Richter.
Darauf lachten alle drei.
Als Grit schließlich durch den telefonischen Stacheldrahtverhau zu Hark durchdrang, waren seine ersten Worte: »Ich überlege, ob ich nicht zum Richter gehen soll.«
Hark drückte den Knopf an seinem Telefon, der die Bandaufnahme in Gang setzte, und sagte: »Guten Tag, Grit.«
»Ich könnte ihm die Wahrheit sagen, dass sich nämlich Snead seine Außage für fünf Millionen hat abkaufen lassen und dass nichts von dem, was er sagt, der Wahrheit entspricht.«
Hark lachte gerade so laut, dass Grit es hören konnte. »Das können Sie nicht, Grit.«
»Natürlich kann ich das.«
»Besonders klug sind Sie wohl nicht, was? Hören Sie mir gut zu, Grit. Erstens haben Sie wie wir alle die Vereinbarung mit unterschrieben, sind also in ein rechtswidriges Vorgehen verwickelt, das Sie offen legen wollen. Zweitens, und das ist noch viel wichtiger, wissen Sie von Snead, weil Sie als Rechtsvertreter von Mary ROSS an dem Fall beteiligt waren. Das ist eine vertrauliche Beziehung.
Wenn Sie Informationen weitergeben, die Ihnen als ihr Anwalt zu Ohren gekommen sind, dann verletzen Sie das Anwaltsgeheimnis. Sofern Sie etwas Törichtes tun, kommen Sie vor das Ehrengericht, und ich werde persönlich dafür sorgen, dass man Ihnen die Zulassung als Anwalt entzieht. Haben Sie das verstanden, Grit?«
»Sie sind ein Drecksack, Gettys. Sie haben mir meine Mandantin abspenstig gemacht.«
401
»Hätte sie sich nach einem anderen Anwalt umgesehen, wenn sie mit Ihnen zufrieden gewesen wäre?«
»Ich bin mit Ihnen noch nicht fertig.«
»Überlegen Sie sich gut, was Sie tun!«
Grit knallte den Hörer auf. Hark genoss den Moment, und machte sich wieder an die Arbeit.
Nate fuhr allein über den Potomac in die Stadt, am Lincoln Memorial vorbei, rollte ohne jede Eile im fließenden Verkehr. Ab und zu fielen Schneeflocken auf die Windschutzscheibe, aber der schwere Schneefall war ausgeblieben. An einer roten Ampel auf der Pennsylvania Avenue sah er im Rückspiegel, von einem Dutzend ähnlicher Gebäude umgeben, das Hochhaus, in dem er den größten Teil seiner letzten dreiundzwanzig Jahre verbracht hatte. Das Fenster seines Büros lag im fünften Stock. Er konnte es kaum sehen.
An der M-Straße, die nach Georgetown führte, kam er an den Stellen vorüber, die er früher so häufig aufgesucht hatte: an alten Kneipen und Bars, in denen er viele dunkle Stunden mit Menschen zugebracht hatte, an die er sich nicht mehr erinnern konnte. Wohl aber wusste er noch die Namen der Barkeeper. Jedes dieser Lokale hatte seine eigene Geschichte. Als er noch trank, musste ein harter Tag in der Kanzlei oder bei Gericht durch einige Stunden Alkohol abgemildert werden, sonst hätte er nicht nach Hause gehen können. An der Wisconsin bog er nach Norden ab und sah ein Lokal, wo er sich mal mit einem College-Studenten geprügelt hatte, der betrunkener gewesen war als er selbst, und das alles wegen einer Schlampe von Studentin. Der Barkeeper hatte sie aufgefordert, ihre Prügelei draußen auszutragen. Als Nate am nächsten
Weitere Kostenlose Bücher