Das Testament
Mandantin.«
»Ich hab wirklich viel zu tun, Josh. Ich bin mit einem Umbau beschäftigt, anstreichen, Wandplatten und so weiter.«
»Tatsächlich?«
»Ja, ich arbeite am Umbau eines Kirchenkellers mit, und das muss zügig vorangehen.«
»Ich habe gar nicht gewusst, dass du ein Händchen für solche Dinge hast.«
»Muss ich wirklich kommen, Josh?«
»Ich glaube schon, mein Freund. Du hast dich bereit erklärt, den Fall Rachel Lane zu übernehmen. Das hab ich dem Richter auch schon gesagt. Du wirst gebraucht, alter Junge.«
»Wann und wo?«
»Komm morgen in mein Büro. Wir fahren dann gemeinsam rüber.«
»Ich möchte nicht in die Kanzlei, Josh. Das sind lauter unangenehme Erinnerungen. Können wir uns nicht im Gericht treffen?«
»Von mir aus. Sei um zwölf Uhr im Zimmer von Richter Wycliff.«
Nate legte ein weiteres Scheit in den Kamin und sah dem Schneetreiben vor der Veranda zu. Er wusste, wie man in Anzug und Krawatte mit einem Aktenkoffer auftritt, konnte sich verhalten und reden wie ein Anwalt, sagen, »Euer Ehren«
und »Ich bitte das Gericht, zu berücksichtigen«, und er konnte Einsprüche in den Saal rufen und Zeugen in die Mangel nehmen. Er war zu allem imstande, was eine Million anderer taten, aber als Anwalt betrachtete er sich nicht mehr. Diese Zeiten waren Gott sei Dank vorbei.
Ein weiteres Mal würde er es tun, aber nur dies eine Mal. Er versuchte sich einzureden, dass er es für seine Mandantin Rachel tue, wusste aber, dass ihr das völlig gleichgültig war.
Er hatte ihr immer noch nicht geschrieben, obwohl er es sich oft vorgenommen hatte. Schon der Brief an Jevy hatte ihn zwei Stunden harte Arbeit gekostet, bei der nur anderthalb Seiten herausgekommen waren.
Nach drei Schneetagen fehlten ihm die feuchtheißen Straßen von Corumba mit dem gemächlichen Fußgängerverkehr, den Straßencafes und dem Lebensrhythmus, dessen unüber-hörbare Botschaft war: Es gibt nichts, das nicht bis morgen warten kann.
Es schneite von Minute zu Minute heftiger. Vielleicht gibt es wieder einen Schneesturm, dachte er, dann werden die Straßen gesperrt, und ich brauche doch nicht hinzufahren.
Wieder einmal Sandwiches aus der griechischen Imbissstube, wieder Gewürzgürkchen und Tee. Josh richtete den Tisch her, während er und Nate auf Richter Wycliff warteten. »Hier ist die Gerichtsakte«, sagte er und gab Nate einen umfangreichen roten Ordner. »Und hier ist deine Antwort«, sagte er und gab ihm einen braunen Aktendeckel. »Du musst das so schnell wie möglich durchlesen und unterzeichnen.«
»Hat die Nachlass Verwaltung bereits darauf reagiert?« fragte Nate.
»Unsere Stellungnahme kommt morgen. Da drin liegt die von Rachel Lane, fix und fertig. Du musst sie nur noch unterschreiben.«
»Hier stimmt was nicht, Josh. Ich reiche eine Stellungnahme zu einer Testamentsanfechtung im Namen einer Mandantin ein, die nichts davon weiß.«
»Dann schick ihr eine Kopie.«
»Und wohin?«
»An ihre einzige bekannte Anschrift, die von World Tribes Missions in Houston, Texas. Steht alles in der Akte.«
Kopfschüttelnd nahm Nate zur Kenntnis, dass Josh bereits alles Erforderliche vorbereitet hatte. Er kam sich vor wie ein Bauer auf einem Schachbrett. In ihrer vierseitigen Stellungnahme bestritt die Erbin Rachel Lane alle von den sechs Antragstellern, die das Testament anfochten, gemachten Behauptungen im allgemeinen und im besonderen, Stück für Stück. Nate las die sechs Anfechtungsanträge, während sich Josh mit seinem Mobiltelefon beschäftigte.
Letztlich liefen alle Anwürfe und juristisch verklausulierten Formulierungen auf die eine Frage hinaus: Hatte Troy Phelan gewusst, was er tat, als er sein letztes Testament verfaßte ? Das Verfahren würde der reinste Zirkus werden, denn bestimmt würden die Anwälte Psychiater aller Schulen und Schattierungen aufbieten, aber auch Angestellte vor Gericht auftreten lassen, frühere Mitarbeiter, einstige Freundinnen, Hausmeister, Zimmermädchen, Chauffeure, Piloten, Leibwächter, Ärzte und Prostituierte - kurz, jeden, der irgendwann einmal fünf Minuten mit dem Alten zugebracht hatte.
Nate war das alles zuviel. Die Akte belastete ihn immer mehr, je weiter er las.
Am Ende der Auseinandersetzung würde der Aktenberg bestimmt ein ganzes Zimmer anfüllen.
Richter Wycliff kam um eins, wie immer in großer Eile. Während er sich die Robe herunterzerrte, entschuldigte er sich für die Verspätung. »Sie sind Nate O’Riley«, sagte er und hielt ihm die Hand
Weitere Kostenlose Bücher