Das Testament
Schnee endlich vollständig geschmolzen war, konnte man ohne Schwierigkeiten dort hinfahren.
»Hübscher Wagen«, sagte Phil, als er den Gurt anlegte. Dabei fiel Sägemehl von seiner Schulter auf den makellosen Ledersitz des Jaguar. Es war Nate gleichgültig.
»Ein typisches Anwaltsauto. Natürlich habe ich es geleast, weil ich nicht genug Geld hatte, bar dafür zu zahlen. Es kostet achthundert im Monat.«
»Entschuldigung.«
»Ich würde es gern abstoßen und mir statt dessen einen hübschen Chevrolet Blazer oder etwas in der Art zulegen.«
Nachdem sie den Ort verlassen hatten, wurde die Straße, welche die ganze Bucht entlang führte, schmal und kurvenreich.
Er lag im Bett, als das Telefon klingelte. Er schlief noch nicht, das würde noch eine Stunde dauern. Es war erst zehn, doch ungeachtet seiner Reise nach Süden war sein Körper nach wie vor an den Tagesablauf von Walnut Hill gewöhnt.
Außerdem machte sich die Erschöpfung durch das Denguefieber bisweilen noch bemerkbar.
Es fiel ihm selbst schwer zu glauben, dass er den größten Teil seines Berufslebens hindurch oft bis abends neun oder zehn gearbeitet, dann in einem Restaurant zu Abend gegessen und bis ein Uhr nachts getrunken hatte. Schon der bloße Gedanke daran erschöpfte ihn.
Da das Telefon nur selten klingelte, nahm er rasch ab, in der festen Überzeugung, dass es Schwierigkeiten gab. Eine Frauenstimme sagte: »Bitte Nate O’Riley.«
»Am Apparat.«
»Guten Abend, Sir. Ich heiße Neva Collier. Sie haben mir einen Brief für unsere Freundin in Brasilien geschickt.«
Die Decken flogen beiseite, während Nate aus dem Bett sprang. »Ja! Sie haben ihn also bekommen?«
»Ja. Ich habe ihn heute morgen gelesen und werde den für Rachel bestimmten Brief an sie weiterleiten.«
»Großartig. Wie bekommt sie die Post?«
»Ich schicke sie zu bestimmten Terminen nach Corumba.«
»Vielen Dank. Ich würde ihr gern wieder schreiben.«
»Dagegen ist nichts einzuwenden, aber setzen Sie ihren Namen bitte nicht auf den Umschlag.«
Nate fiel ein, dass es in Houston neun Uhr sein musste. Also rief sie ihn von zu Hause an, und das kam ihm mehr als sonderbar vor. Die Stimme klang zwar angenehm, aber zugleich zögernd.
»Stimmt etwas nicht?« fragte er.
»Nein, nur weiß hier außer mir niemand, wer sie ist. Jetzt, da Sie mit der Sache zu tun haben, gibt es zwei Menschen auf der Welt, die ihren Aufenthaltsort und ihre Identität kennen.«
»Ich habe ihr fest versprochen, dass ich das geheim halte.«
»War sie schwer zu finden?«
»Könnte man sagen. Ich würde mir keine Sorgen darüber machen, ob jemand anders sie aufspürt.«
»Aber wie ist Ihnen das gelungen?«
»Nicht mir, ihrem Vater. Wissen Sie über Troy Phelan Bescheid?«
»Ja, ich habe Zeitungsausschnitte gesammelt.«
»Bevor er sich von dieser Welt verabschiedet hat, hat er ihre Spur bis ins Pantanal verfolgt. Ich habe allerdings keine Ahnung, wie er das geschafft hat.«
»Er hatte die nötigen Mittel.«
»Das stimmt. Wir wussten also in etwa, wo sie sich aufhielt, ich bin hingeflogen, habe mir vor Ort einen Führer genommen, wir haben uns verirrt und sind dabei auf sie gestoßen. Kennen Sie sie gut?«
»Ich bin nicht sicher, ob irgend jemand Rachel gut kennt. Ich spreche einmal im Jahr mit ihr, wenn sie im August aus Corumba anruft. Vor fünf Jahren hat sie einen Heimaturlaub genommen, und da habe ich einmal mit ihr zu Mittag gegessen.
Besonders gut kenne ich sie also nicht.«
»Haben Sie in letzter Zeit von ihr gehört?«
»Nein.«
Rachel war erst vor zwei Wochen in Corumba gewesen. Das wusste er mit Sicherheit, weil sie zu ihm ins Krankenhaus gekommen war. Sie hatte ihn angesprochen, ihn berührt und war dann verschwunden, wobei sie sein Fieber mitgenommen hatte. Bei dieser Gelegenheit sollte sie nicht in der Zentrale angerufen haben? Wie sonderbar.
»Es geht ihr gut«, sagte er. »Sie fühlt sich bei ihren Indianern zu Hause.«
»Warum haben Sie sie aufgespürt?«
»Irgend jemand musste das tun. Begreifen Sie, was ihr Vater getan hat?«
»Ich versuche es.«
»Jemand musste Rachel von der Sache in Kenntnis setzen, und es musste ein Anwalt sein. Zufällig war ich in unserer Kanzlei der einzige, der gerade nichts Besseres zu tun hatte.«
»Und jetzt vertreten Sie sie?«
»Sie verfolgen die Sache ziemlich aufmerksam, was?«
»Wir haben ein mehr als nur flüchtiges Interesse daran. Sie gehört zu uns und ist zur Zeit etwas weit vom Schuss, könnte man sagen.«
»Das ist sehr
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