Das Testament
doch wenn er jemanden für dreihundertfünfzig an der Angel hatte, konnte er dessen Rechnung immer noch etwas aufblasen und auf diese Weise verdienen, was er wert war. Eine indonesische Zementfirma hatte ihm für eine unbedeutende Angelegenheit vierhundertfünfzig pro Stunde zugesagt, dann aber versucht, Schwierigkeiten zu machen, als die Rechnung kam. Auf der anderen Seite hatte er mit Erfolg einen Schadensersatzprozess wegen einer fahrlässigen Tötung geführt und dabei knapp hundertzwanzigtausend Dollar verdient. Seine Bandbreite in Honorarfragen war also beträchtlich.
Hark war Prozess-Spezialist in einer zweitklassigen Sozietät mit vierzig Anwälten, deren beständige Machtkämpfe und Streitigkeiten die Vergrößerung der Kanzlei behinderten, und er hatte keinen sehnlicheren Wunsch, als sich selbständig zu machen. Die laufenden Kosten fraßen nahezu die Hälfte des von ihm erwirtschafteten Umsatzes auf - seiner Ansicht nach musste das Geld eigentlich in seine eigene Tasche fließen.
Irgendwann im Laufe der schlaflos verbrachten Nacht hatte er beschlossen, seinen Stundensatz auf fünfhundert Dollar zu erhöhen und zwar rückwirkend um eine Woche. Er hatte in den vergangenen sechs Tagen an nichts anderem gearbeitet als an dem Fall Phelan. Jetzt, da der Alte nicht mehr lebte, war die verrückte Familie ein gefundenes Fressen für jeden Anwalt.
Harks Ziel war eine Anfechtungsklage gegen das Testament - das versprach ein langer, mit Zähnen und Klauen geführter Kampf zu werden, bei dem ganze Meuten von Anwälten tonnenweise juristischen Schwachsinn zu Papier brachten. Am besten wäre ein richtiger Prozess, eine in aller Öffentlichkeit ausgetragene Schlacht um eines der größten Vermögen in den Vereinigten Staaten, bei der Hark im Mittelpunkt stand. Zwar wäre es schön, wenn er den Prozeß gewinnen könnte, aber entscheidend war das nicht. So oder so würde er dabei ein Vermögen machen und berühmt werden, und genau darum ging es im heutigen Anwaltsgeschäft.
Bei einem Stundensatz von fünfhundert Dollar, einer Arbeitswoche von sechzig Stunden und fünfzig Arbeitswochen im Jahr läge das jährliche Bruttohonorar bei anderthalb Millionen. Die laufenden Kosten für Miete, Sekretärinnen und Anwaltsgehilfen dürften sich höchstenfalls auf eine halbe Million belaufen.
Damit bliebe Hark eine Bruttoeinnahme von einer Million, sofern er diese miese Kanzlei verließ und einige Straßenecken weiter selbst eine aufmachte.
So würde er es machen. Er trank einen Schluck Kaffee und nahm insgeheim Abschied von seinem unaufgeräumten Büro. Er würde sich mit dem Fall Phelan und vielleicht einem oder zwei anderen auf und davon machen, und zwar schon bald, bevor die Kanzlei Anspruch auf Honorare aus der Erbsache Phelan erhob. Seine Sekretärin und seinen Anwaltsgehilfen würde er mitnehmen.
Sein Puls beschleunigte sich, während er an den neuen Start und all die Möglichkeiten dachte, gegen Josh Stafford vom Leder zu ziehen. Grund dazu gab es reichlich. Stafford war nicht bereit gewesen, ihm den Inhalt von Phelans letztem Testament mitzuteilen. Als Begründung hatte er angeführt, angesichts des Selbstmords sei dessen Gültigkeit fraglich. Die Veränderung in Staffords Stimme unmittelbar nach dem Selbstmord hatte Hark aufmerksam gemacht. Seither hatte Stafford nicht auf Anrufe reagiert und war inzwischen sogar aus der Stadt verschwunden.
Hark sehnte sich förmlich nach einem Kampf.
Um neun Uhr traf er sich mit Libbigail Phelan Jeter und Mary ROSS Phelan Jackman, den beiden Töchtern aus Troys erster Ehe. Rex hatte das auf Harks Betreiben arrangiert. Zwar wurden beide Frauen bereits durch einen Anwalt vertreten, doch wollte Hark sie auf seine Seite ziehen. Je mehr Mandanten er in diesem Fall hatte, desto größer wurde sein Einfluss am Verhandlungstisch und im Gerichtssaal - ganz davon abgesehen, dass er allen dreien für ein und dieselbe Arbeit jeweils fünfhundert Dollar pro Stunde berechnen konnte.
Die Besprechung verlief nicht nach Wunsch. Keine der beiden Frauen traute Hark, weil sie ihrem Bruder Rex nicht trauten. Warum sollten sie gemeinsame Sache machen, wenn sonst niemand dabei mitzog? TJ beschäftigte drei Anwälte, und auch ihre Mutter hatte einen eigenen Anwalt. Wo so viel Geld auf dem Spiel stand, war es doch sicher besser, wenn sie ihre bisherigen Anwälte behielten.
Eindringlich versuchte Hark ihnen die Vorteile eines gemeinsamen Vorgehens klarzumachen, kam aber nicht weit. Obwohl er enttäuscht
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