Das Testament
hin.«
»Vielen Dank.«
»Aber Sie sehen die Schwierigkeiten, nicht wahr? Wir haben sechzig Anwälte, von denen jeder mehr zu tun hat, als er erledigen kann. Keiner von uns kann einfach so alles stehen und liegen lassen, um diese Frau zu suchen.«
»Dann schicken Sie doch einen Anwaltsgehilfen.«
Der Gedanke gefiel Josh nicht. Er nippte an seinem Whisky, sog an seiner Zigarre und lauschte auf das Knistern des Kaminfeuers. »Es muss ein gestandener Anwalt sein«, sagte er vor sich hin.
Der Butler kehrte mit frisch gefüllten Gläsern zurück. Er erkundigte sich, ob die Besucher Nachtisch und Kaffee wollten, aber sie waren mit allem versorgt.
»Was ist mit Nate?« fragte Josh, als sie wieder allein waren.
Offensichtlich hatte er schon die ganze Zeit an Nate gedacht, und das ärgerte Tip ein wenig. »Ist das Ihr Ernst?« fragte er.
»Ja.«
Beide dachten eine Weile über die Frage nach, ob man Nate hinschicken sollte oder nicht, und überlegten, ob ihre Einwände und Befürchtungen gerechtfertigt waren. Nate O’Riley, einer der Teilhaber, war seit dreiundzwanzig Jahren in der Kanzlei, hielt sich aber zur Zeit in einer Entwöhnungsklinik in den Blue Ridge Mountains westlich von Washington auf. Im Verlauf der vergangenen zehn Jahre hatte er sich des öfteren in einer solchen Einrichtung aufgehalten. Jedesmal war er braungebrannt und mit dem festen Entschluss zurückgekehrt, dem Alkohol ein für alle Mal abzuschwören. Aber die einzigen Fortschritte, die er machte, betrafen sein Tennisspiel, denn auf jede dieser garantiert letzten Entwöhnungskuren war ein schlimmerer Rückfall als zuvor gefolgt. Jetzt, mit achtundvierzig Jahren, war er finanziell am Ende, zweimal geschieden und stand unter Anklage wegen Steuerhinterziehung. Seine Zukunft sah alles andere als rosig aus.
»Der hatte es doch immer mit dem Leben im Freien, oder?« fragte Tip.
»Aber ja. Sporttauchen, Felsklettern, lauter so verrückte Sachen. Dann ist es mit ihm abwärtsgegangen, und er hat nur noch gearbeitet.«
Dieser Niedergang hatte mit etwa Mitte Dreißig begonnen, ungefähr um die Zeit, als er eine beeindruckende Reihe von Erfolgen in Kunstfehlerprozessen gegen Ärzte erzielt hatte. Nate O’Riley war auf diesem Gebiet geradezu ein Staranwalt geworden, zugleich aber hatte er sich dem Alkohol und dem Kokain verschrieben.
Er vernachlässigte seine Familie und wurde von seiner Sucht förmlich aufgesogen.
Irgendwie gelang es ihm, zwischen seinen Prozesserfolgen und seiner Abhängigkeit von Alkohol und Drogen das Gleichgewicht zu halten, doch er stand immer am Rande des Abgrunds. Als er dann einen Prozess verlor, stürzte er zum ersten Mal ab.
Die Kanzlei hatte ihn in einen schicken Kurort abgeschoben, bis er trocken genug war, um ein eindrucksvolles Comeback hinzulegen. Das erste von vielen.
»Wann kommt er denn raus?« fragte Tip, dem Joshs Einfall immer besser gefiel.
»Bald.«
Inzwischen allerdings war Nate ein schwerer Fall geworden. Er brachte es fertig, monate-, ja sogar jahrelang trocken zu bleiben, aber irgendwann kam der neue Rückfall. Er war an Leib und Seele zerrüttet, sein Verhalten wurde sonderbar, die Nachricht von seiner Verschrobenheit verbreitete sich in der Kanzlei und wurde schließlich zum allgemeinen Thema beim Anwaltsklatsch.
Knapp vier Monate zuvor hatte er sich mit Tabletten und einer Flasche Rum in einem Motelzimmer eingeschlossen, ein Verhalten, in dem viele seiner Kollegen einen Selbstmordversuch sahen.
Josh hatte ihn zum vierten Mal in zehn Jahren zur Therapie geschickt.
»Vielleicht tut es ihm ja gut, eine Weile aus all dem rauszukommen«, sagte Tip.
SIEBEN
Am dritten Tag nach Mr. Phelans Selbstmord suchte Hark Gettys sein Büro in der Kanzlei schon vor Morgengrauen auf; trotz seiner Müdigkeit konnte er es nicht erwarten, den Tag zu beginnen. Seine Augen waren rot gerändert und geschwollen -
kein Wunder, hatte er doch am Vortag mit Rex Phelan ein ausgedehntes Abendessen eingenommen und im Anschluss daran mehrere Stunden lang in einer Bar mit ihm über das Testament gesprochen und Pläne für ihr weiteres Vorgehen geschmiedet.
Ungeachtet seiner Kopfschmerzen machte er sich jetzt mit Hilfe von reichlich Kaffee an die Arbeit.
Hark hatte unterschiedliche Stundensätze. Im vergangenen Jahr hatte er in einem üblen Scheidungsfall lediglich zweihundert Dollar berechnet, doch nannte er möglichen Mandanten grundsätzlich dreihundertfünfzig. Das war eher wenig für einen ehrgeizigen Anwalt in Washington,
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