Das Testament
während sie darauf warteten, dass sich die Waagschale der Göttin Fortuna ihnen zuneigte.
Libbigail Jeter kam mit ihrem Mann Spike, dem ehemaligen Motorradfahrer, der nach wie vor gut hundertvierzig Kilo wog. Während sie hinter ihrem Anwalt Wally Bright durch den Mittelgang watschelten, wirkten sie denkbar fehl am Platz, obwohl sie weiß Gott oft genug einen Gerichtssaal von innen gesehen hatten.
Wally, den sie im Branchenverzeichnis gefunden hatten, trug einen fleckigen Regenmantel, der auf dem Boden schleifte, ein Hemd mit abgestoßenen Kragenecken und einen zwanzig Jahre alten Polyesterschlips. Aus einer Abstimmung im Zuschauerraum über den am schäbigsten gekleideten Anwalt wäre er mit weitem Abstand als Sieger hervorgegangen. Seine Papiere trug er in einem Ziehharmonika-Ordner, der ihm vor Gericht schon bei zahllosen Ehescheidungen und anderen Fällen gedient hatte. Aus irgendeinem Grund hatte er sich nie einen Aktenkoffer gekauft.
Zielsicher strebten sie der größten Lücke zu und nahmen Platz. Dann machte sich Wally Bright geräuschvoll daran, seinen Regenmantel auszuziehen, wobei dessen zerfetzter Saum den Hals eines von Harks namenlosen jungen Anwälten streifte.
Angewidert wich der ernsthaft wirkende junge Mann vor Brights Körpergeruch zurück.
»Passen Sie doch gefälligst auf!« sagte er scharf, während er mit dem Handrücken nach Bright schlug und ihn verfehlte. Die Worte knisterten in der angespannten Atmosphäre. Köpfe hoben sich von wichtigen Dokumenten auf den Tischen und fuhren herum. Jeder verabscheute jeden.
»Tut mir leid«, erwiderte Bright mit unverhohlenem Sarkasmus. Zwei Polizeibeamte schoben sich näher, um erforderlichenfalls einzugreifen. Aber der Regenmantel fand ohne weiteren Zwischenfall einen Platz unter dem Tisch, und schließlich gelang es Bright auch, sich neben Libbigail zu setzen, an deren anderer Seite Spike saß, sich den Bart strich und Troy Junior einen Blick zuwarf, als hätte er ihn am liebsten geohrfeigt.
Kaum jemand unter den Anwesenden nahm an, das sei das letzte Scharmützel unter den Phelans.
Wer bei seinem Tod elf Milliarden hinterlässt, darf damit rechnen, dass man sich für sein Testament interessiert, vor allem, wenn es so aussieht, als werde eins der bedeutendsten Vermögen auf der Welt den Geiern in den Rachen gestopft. So war es kein Wunder, dass außer den Massenblättern und den örtlichen Zeitungen auch alle wichtigen Finanzzeitschriften vertreten waren. Die drei Stuhlreihen, die Wycliff für die Presse reserviert hatte, waren um halb zehn gefüllt. Die Journalisten genossen es offensichtlich zu beobachten, wie sich die Mitglieder der Familie Phelan vor ihren Augen versammelten. Fieberhaft strichelten drei Pressezeichner; was sie sahen, bot ihnen reichlich Material. Der grünhaarige Punker wurde häufiger skizziert, als er es verdient hatte.
Um zehn vor zehn erschien Josh Stafford, von Tip Durban, zwei weiteren Anwälten aus seiner Kanzlei und einigen Anwaltsgehilfen begleitet. Mit würdiger Miene nahmen sie ihre reservierten Plätze ein. Verglichen mit der drangvollen Enge, die an den Tischen der Phelans und ihrer Anwälte herrschte, ging es bei ihnen großzügig zu. Josh legte eine einzige dicke Akte vor sich, und sogleich richteten sich die Augen aller darauf. Sie schien einen Schriftsatz von fast fünf Zentimetern Stärke zu enthalten, sehr ähnlich dem, den Troy vor den Videokameras unterzeichnet hatte. Das lag gerade neunzehn Tage zurück.
Außer Ramble sahen alle unwillkürlich hin. Den Gesetzen des Staates Virginia zufolge waren Zahlungen an Erben frühzeitig möglich, sofern der Nachlass liquide war und keinerlei Bedenken wegen Steuerrückständen und zu begleichenden Schulden bestanden. Die Schätzungen der Phelan-Anwälte reichten von mindestens zehn Millionen pro Erben bis hin zu den von Bright vermuteten fünfzig Millionen. Er selbst hatte in seinem Leben noch nie auch nur fünfzigtausend Dollar gesehen.
Das mochte damit zu tun haben, dass er an der Abendschule für Juristen beim Abschluss seines Jahrgangs lediglich auf dem zehnten Platz gelandet war.
Um zehn Uhr wurden die Türen verschlossen, und wie auf ein Stichwort hin tauchte Wycliff in einer Wandöffnung hinter dem Richtertisch auf. Schlagartig herrschte im Raum Schweigen. Der Richter setzte sich, wobei er seine frisch gebügelte Robe um sich ausbreitete. Mit einem Lächeln sagte er »Guten Morgen« in das Mikrophon, das vor ihm stand.
Alle erwiderten sein Lächeln.
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