Das Teufelskind
reagierte, verstärkte er seine Bemühungen.
Er tastete den Arm hoch, bekam die Schulter zu spüren und die Haut am Hals.
Da merkte er, daß seine Fingerspitzen feucht geworden waren, und als er mit der Hand höher fuhr und sie dabei über die Wange glitt, war nicht nur die Haut unter ihr, sondern etwas Härteres und leicht Feuchtes. Das Kind begriff nicht.
Zum Glück nicht, denn woher hätte es wissen sollen, daß es einen Wangenknochen ertastet hatte? Johnny zuckte hoch.
Er schien auf einmal bemerkt zu haben, daß das, was unter ihm lag doch nicht so stimmte. Dort hatte er einen Menschen gefunden, nur konnte der nichts mehr sagen.
Johnny ging zurück. Er drehte sich dabei nicht um, sondern setzte zögernd einen Fuß hinter den anderen. Dabei geriet er aus der ursprünglichen Richtung und stieß mit dem Rücken gegen eine Mauerkante.
Wie ein Stromstoß lief das Erschrecken durch seinen Körper, und für einen Moment blieb er stehen, ohne sich irgendwie zu rühren. Stille umgab ihn.
Und dieser süßliche Geruch, den er nicht mehr aushalten konnte und seinen Magen zum Revoltieren brachte.
Johnny drehte sich um und spie.
Dabei weinte er wieder, und abermals dachte er an seine Eltern sowie an Nadine, die Wölfin.
Kam denn niemand, um ihm zu helfen?
Er hatte kaum daran gedacht, als er von der Treppe her ein Geräusch hörte.
Johnny hob den Kopf, schaute den Treppenschacht hoch und erkannte, daß die Tür geöffnet worden war.
Auf der Schwelle stand die Hagere.
Und hinter ihr der Sarg!
***
Ein vernünftiges Gespräch wollte einfach nicht aufkommen. Die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit hatten uns alle zu sehr berührt, als daß wir einfach so darüber hinweggehen konnten. Es gab zwar einige Gesprächsansätze, doch wir kehrten sehr schnell zu dem eigentlichen Problem zurück. Und das hieß Lydia sowie ihre Tante. Ich wurde aus diesem Mädchen nicht schlau, und meinen Freunden erging es ebenso.
Dabei stellte ich mir wieder vor, wie ich sie zum erstenmal gesehen hatte. Sie stand im Zimmer und war irgendwie ein Neutrum. Oft begegnet man Menschen, die strahlen etwas aus, ob negativ oder positiv, bei dieser Lydia war es nicht der Fall gewesen. Ein sehr seltsames Kind.
Und noch seltsamer war ihre Katze. Ein Tier, wie ich es noch nie erlebt und gesehen hatte. So aggressiv, so seltsam, so raubtierhaft, und es kam mir zwangsläufig der Gedanke, ob es sich bei ihm um eine echte Katze handelte oder eine vom Bösen beeinflußte.
»So nachdenklich?« fragte Bill, während er seine Pfeife stopfte und mich anschaute.
»Ja, mir geht diese Lydia nicht aus dem Sinn.«
Sheila mischte sich ein. »Was willst du machen, John? Wir können Johnny die Spielkameraden doch nicht aussuchen. Du kannst mir glauben, daß mir andere auch lieber gewesen wären, aber es ist nun mal so, daß sonst kaum Kinder in der Nähe wohnen. Man muß schon damit zufrieden sein, wenn Johnny überhaupt welche findet.«
Ich nickte. »Sicher, du hast recht, Sheila. Wenn man alles so sieht. Ich kann da nicht mitreden, denn ich wohne nicht hier.«
Das Thema griff Bill auf. Er paffte ein paar Wolken und sagte: »Hör mal, John, willst du nicht herziehen?«
»Wieso?«
»Ein Haus ist doch besser als eine Apartment-Bude.«
»Klar ist das besser. Nur habe ich keine Lust, jeden Tag durch halb London zu fahren, um zum Yard Building zu kommen. Nein, laß mal, da ist mir das andere schon lieber. Zudem habe ich für ein Haus kein Geld.«
Bill winkte ab. »Wir haben das Grundstück gekauft. Es steht noch leer. Wir überlegen, was wir dahinsetzen wollen. Sheila hat sich ihren Modefimmel ja noch nicht austreiben lassen.«
»Willst du da eine Schneiderei eröffnen?« fragte ich grinsend.
»So etwas Ahnliches.«
»Aber gib acht, daß du keine blutsaugenden Mannequins bekommst.«
Damit spielte ich auf unser Abenteuer in Paris an. [1]
»Da halte ich schon die Augen offen.«
Bill schaute auf die Uhr. Ich blickte nach draußen, wo sich der Himmel allmählich rot färbte. Es war eine wunderschöne Farbe, und sie lief wolkig in das Grau der heranrückenden Dämmerung hinein, so daß eine seltsame Tönung den Himmel bedeckte.
»Ist die halbe Stunde schon um?« fragte Sheila.
»Gleich.«
»Bleibt es dabei, daß wir Johnny entgegengehen?« fragte ich.
»Wenn du einen kleinen Gang machen willst, John?«
»Warum nicht?«
»Wir können aber noch ein wenig warten. Wie ich die Tante da kenne, ist sie pünktlich.«
»Ich habe sie ja nur einmal gesehen«,
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