Das Teufelskind
Deshalb zog er sich in die Dunkelheit des Kellers zurück.
Kein Licht, kein Fenster, nicht der geringste Schimmer durchbrach die alles verschluckende Dunkelheit. Der arme Johnny mußte sich im Stockfinstern weitertasten, und er wußte schon bald nicht mehr, wohin er sich wenden sollte.
Er tappte unsicher durch die Finsternis, hielt seinen kleinen Arm ausgestreckt und spürte plötzlich den Widerstand von rauhen Steinen unter seinen Händen.
Ein Mauer hatte ihn gestoppt!
Johnny begann wieder zu schluchzen. Er war gegen eine Mauer gelaufen, so konnte er nicht weiter. Aber wohin?
Diese beiden Worte waren wie ein stummer Schrei, der in seinem kleinen Körper aufgellte, und der Schrei pflanzte sich fort, denn er dachte an seine Eltern und an die Wölfin.
Nadine!
Immer wieder dachte er an das Tier. Nur dieser eine Name kam ihm in den Sinn. Wie oft hatte ihm die Wölfin zur Seite gestanden. Wie oft? Weshalb ließ sie ihn jetzt allein, warum half sie ihm nicht? Er brauchte sie doch so.
Johny weinte wieder. Ein unschuldiges, hilfloses Kind in der erstickenden Düsternis dieses Kellers.
Konnte es noch Grausameres geben?
Nein, niemals. Es war schlimm genug und es würde immer schlimmer werden, wenn er keine Hilfe bekam.
Johnny ging weiter. Er wandte sich nach links und sah dabei zu, daß seine Hände die Mauer auch weiterhin berührten. So tastete er sich Stück für Stück vor. Vielleicht gab es doch irgendeinen Raum, ein Versteck, das ein Fenster besaß, durch das er fliehen konnte. Dann griff er ins Leere.
Dies geschah sehr schnell und kam so überraschend für den Kleinen, daß es ihm nicht mehr gelang, sich zu fangen und er auf den kalten Boden fiel.
Hart schlug er auf die Knie, und ein Laut des Schmerzes entrang sich seinem Mund. Er schüttelte den Kopf, kroch ein Stück zur Seite, fühlte wieder die Mauer, und es gelang ihm, sich in die Höhe zu stemmen. Johnny war in einen Keller gefallen. Trotz der Angst, die den kleinen Jungen umklammert hielt, wurde ihm dies klar, und das hatte er ja auch gewollt. Vielleicht fand er hier ein Fenster oder einen Schacht, durch den er nach draußen klettern konnte.
Johnny konnte die Überlegungen eines Erwachsenen noch nicht führen, denn wäre auch nur ein Schacht oder ein Fenster vorhanden gewesen, so hätte er zumindest einen schmalen Lichteinfall erkennen müssen, was allerdings hier nicht der Fall war.
Johnny steckte in einer tiefen Dunkelheit.
Dennoch ging er vor und blieb plötzlich stehen, denn ihm war ein seltsamer Geruch aufgefallen.
Im Gang zuvor hatte er ihn nicht wahrgenommen, nun zog er die Nase hoch und merkte, daß die Luft süßlich duftete.
Vorsichtig ging er weiter.
Einen Schritt, den nächsten, dann noch einen, und der Geruch verstärkte sich.
Es war jetzt nicht nur süßlich, sondern auch ekelerzeugend. Johnny verzog sein Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen. Er wollte nicht mehr atmen; vom Magen her stieg Übelkeit in ihm hoch, und eigentlich wollte er auch umdrehen, als er mit der Fußspitze gegen einen Widerstand stieß.
Einen weichen Widerstand…
Johnny wußte im ersten Augenblick nichts damit anzufangen, aber seine Neugierde war geweckt. Ob vor ihm jemand lag?
Neugierde gehörte zu einem Kind. Da machte auch Johnny keine Ausnahme. Trotz der schlimmen Lage, in der er sich befand, wollte er wissen, was es war, und er bückte sich, streckte gleichzeitig seinen rechten Arm aus und berührte den Gegenstand.
Vor ihm lag ein Körper!
Ein Mensch!
Vielleicht wäre ein Erwachsener zurückgezuckt und hätte sich verkrochen, das Kind reagierte anders. Es wollte suchen und forschen. Seine kleinen Finger tasteten weiter, sie glitten über schmutzigen Stoff, verhakten sich in dem Gewebe und spürten plötzlich etwas Kaltes. Haut…
Johnny blieb in der Haltung, schluchzte, bewegte seine Hand weiter, und er glaubte, ebenfalls eine Hand unter den suchenden Fingerspitzen zu fühlen.
Sekunden später bekam er die Gewißheit. Der kleine Junge tastete wirklich eine fremde Hand ab.
Die Hand eines Toten…
Das erfaßte Johnny nicht. Er sprach sogar mit der Leiche, denn er rechnete nicht damit, daß die Person nicht mehr aufstehen konnte.
»Komm hoch«, sagte er, »bitte… ich… hilf mir hier aus dem Keller. Du mußt kommen. Ich habe so eine Angst…«
Es waren flüsternde und gleichzeitig erstickt klingende Worte, die über seine Lippen drangen, unterbrochen von schluchzenden Geräuschen, und als die Person zu Johnnys Füßen nicht
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