Das Teufelslabyrinth
rieb sich die letzten Tränen aus den Augenwinkeln und schaute wieder durch die Glastür.
Sein Vater war verschwunden.
Aber jetzt wusste Ryan, was er zu tun hatte.
Dieses Etwas in Ryan regte sich wieder, als er in der U-Bahn saß und aufstand, um an der Haltestelle in der Nähe seines Elternhauses auszusteigen. Es war, als hätte es begriffen, dass er nach Hause gehen wollte, und als gefiele ihm das nicht; und als der Zug seine Geschwindigkeit drosselte und Ryan zur Tür ging, verspürte er auf einmal den Drang, in der U-Bahn zu bleiben und weiter bis in die Stadt zu fahren und in die Schule zurückzukehren.
Dorthin zurück, wo dieses Böse oder diese Verrücktheit oder was immer in ihm wuchs, seinen Anfang genommen hatte. Als der Zug anhielt, wusste Ryan, dass er niemals wieder er selbst sein könnte, wenn er den Wünschen dieses Wesens in ihm nachgäbe. Langsam und unausweichlich würde die Person, die Ryan McIntyre gewesen war, verschwinden, und zurückbleiben würde diese seltsame dunkle Macht, die nach und nach seinen Körper und auch seinen Verstand eroberte. Und indem er sich ausschließlich auf die Vision seines neben dem Bett seiner Mutter stehenden Vaters konzentrierte und auf das silberne Kreuz, das er um den Hals getragen hatte, zwang sich Ryan, auf die offen stehende Tür des U-Bahnwaggons zuzugehen.
»Du träumst«, raunte ihm das Ding in seinem Inneren zu. »Dein Vater ist tot.«
Natürlich wusste Ryan, dass sein Vater tot war, aber er wusste auch, was er gesehen hatte.
»Du hast gar nichts gesehen«, geiferte das teuflische Wesen in ihm. »Du wolltest ihn sehen, aber er ist tot.«
Höre nicht auf diese Stimme, ermahnte sich Ryan und richtete sein ganzes Denken darauf, einen Fuß vor den
anderen zu setzen und auszusteigen. Als er dann die Treppe hinauf zur Straße emporstieg und den Weg nach Hause einschlug, begann die Stimme wieder, auf ihn einzureden.
»Du halluzinierst ja.«
»Du bist völlig übergeschnappt.«
»Die bringen dich in die Klapsmühle!«
Allmählich begannen Zweifel seinen Entschluss zu unterhöhlen, und das Böse wusste das. Das Böse besaß Macht über seinen Verstand und über seinen Körper, und plötzlich machte er kehrt und ging zurück zur U-Bahn-Station.
Zur U-Bahn-Station und in die St. Isaac’s.
Doch Ryan gab nicht auf. Indem er sich so fest er konnte darauf konzentrierte, sich gegenüber dieser insistierenden Stimme aus seinem Inneren taub zu stellen, kehrte er abermals um und zwang sich, wieder den Weg nach Hause einzuschlagen. Ein Zucken lief durch seinen Körper, vom Kopf bis in die Zehenspitzen, er ballte die Hände und schob sie tief in seine Taschen. Seine Arme zuckten krampfartig, doch er hielt sie fest an seine Seiten gepresst. Sein Kopf wiegte sich so heftig hin und her, als nickte er den Takt zu harter Rockmusik, und auch seine Beine schienen sich wie aus eigenem Willen zu bewegen, doch Ryan machte sich so steif wie möglich und zwang sich weiterzugehen.
Er tat das Richtige - er tat, was sein Vater von ihm erwartete -, und nichts und niemand konnte ihn von seinem Entschluss abbringen.
Weder diese wispernden Stimmen in seinem Kopf noch der eigenwillige Bewegungsdrang seiner Arme und Beine oder sonst etwas.
Plötzlich kochte die Wut in ihm über, und das Tosen und Brüllen, das damit einherging, übertönte alles andere.
Ihm war, als würde sein Kopf jeden Augenblick explodieren, und als er vom Gehsteig in den Vorgarten seines Elternhauses abbiegen wollte, schwankte er, als hätte ihm jemand die Füße unter dem Körper weggezogen. Er stürzte, knallte mit der Hüfte auf die Bordsteinkante und schürfte sich die Haut an dem rauen Asphalt auf.
Doch er rappelte sich gleich wieder hoch und versuchte, nicht nur diesen rasenden Zorn in seinem Kopf auszublenden, sondern auch die Schmerzen. Dann stieg er die Eingangsstufen zu dem dunklen Haus hoch.
Die Haustür war immer noch mit gelbem Absperrband versiegelt, aber das riss er einfach ab. Dann nahm er die kleine Keramikente, die auf der Veranda stand, angelte den Ersatzschlüssel heraus, der darin versteckt war, solange er denken konnte, und sperrte die Haustür auf.
Die Stimme in seinem Kopf kreischte noch lauter, doch Ryan gelang es, darüber hinwegzuhören, und als er das getrocknete Blut vor dem Kamin und auf dem Teppich sah, steigerte sich seine Wut ins Unermessliche.
Das war das Blut seiner Mutter!
Seine eigene Wut war inzwischen so groß, dass sie den Zorn dieses Wesens in ihm überlagerte.
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