Das Teufelslabyrinth
kreuzten sich nie. Das eigentümliche Ballett nahm seinen Lauf, und ihr Gesang schwoll immer mehr, während sich alle drei unaufhörlich dem Zentrum des Liniengewirrs näherten.
Jeffrey Holmes’ kalter Grabstätte.
Ihre Stimmen vereinigten sich zu einem heulenden Crescendo, das klang, als hätten alle Dämonen der Hölle ihre Fesseln gesprengt, und als sie die letzte Note anstimmten, standen alle drei im Mittelpunkt des Labyrinths, nur durch den Marmorsarg voneinander getrennt. Während das Echo ihrer Stimmen noch immer von den Wänden widerhallte, hob Pater Sebastian das schwere, silberne Kruzifix erneut in die Höhe und hielt es diesmal so, dass die messerscharfe Spitze zur Decke zeigte. Seine Stimme grollte, als er eine neue Anrufung intonierte.
Dann reichte er Sofia das entweihte Kreuz.
Ohne eine Sekunde zu zögern, zog sie die Spitze der Klinge über ihre Handfläche und ließ das Blut aus der
Wunde auf den weißen Marmor tropfen, während sie das Kruzifix an Melody weiterreichte.
Melody wiederholte, was Sofia getan hatte, und auch ihr Blut tropfte auf den Sarkophag.
Dann war die Reihe an Ryan.
Gegen seinen Willen nahm er das Kreuz von Melody entgegen, und in dem kurzen Moment, als ihre Blicke sich trafen, sah er, dass das Leuchten in ihren Augen - das Leuchten, das ihn zuvor so angezogen hatte - vollkommen erloschen war.
Etwas in Melody war gestorben, und als er das Kruzifix aus ihren Händen entgegennahm, wusste Ryan, dass auch in ihm etwas sterben würde.
Doch er war zu machtlos, um dem entgegenzuwirken.
Ganz ruhig hielt er die Dolchspitze über sein Handgelenk. Und kurz bevor er die Klinge in sein Fleisch stechen wollte, flackerte ein Bild vor seinen Augen auf.
Es war sein Vater. Sein Vater in seiner kompletten Ausgehuniform. Um seinen Hals hing ein silbernes Kruzifix, und er schaute Ryan direkt und sehr liebevoll in die Augen. »Hab keine Angst«, hörte er seinen Vater sagen. »Ich habe ein Geschenk …«
Die restlichen Worte wurden ausgeblendet, als die Klinge in Ryans Fleisch drang.
Die Vision verschwand.
Sein Blut floss nun ebenfalls auf den steinernen Deckel des Sarges, und in dem Augenblick, als sich das Blut von den dreien vermischte, löste sich der weiße Marmor in Nebel auf und verschwand dann völlig.
Jetzt tropfte ihr Blut auf das verwesende Fleisch von Jeffrey Holmes’ Leichnam, und als Ryan genauer hinsah, bemerkte er, dass das Fleisch anfing, Blasen zu werfen.
»Das ist mein Leib«, flüsterte Pater Sebastian mit belegter Stimme. »Und das ist mein Blut.«
»Esst von meinem Leib«, befahl Pater Sebastian, aber der war jetzt nicht länger Pater Sebastian, sondern nur noch ein Gesicht - ein Gesicht, das Ryan sofort wiedererkannte.
Es war das Gesicht der Dunkelheit, die diesen Raum erfüllt hatte, das Gesicht dieses Etwas in ihm selbst, das auch Melody und Sofia in Besitz genommen hatte.
Es war das Gesicht des Bösen.
Das Gesicht des Teufels.
»Trinkt von meinem Blut«, befahl die Stimme.
Schweigend, unfähig, irgendeine Art von Widerstand zu leisten, gehorchten Ryan McIntyre und Melody Hunt und Sofia Capelli den Befehlen.
Sie tauchten ihre Finger in diese blubbernde Fäulnis, die einst Jeffrey Holmes gewesen war, und brachten diese blasphemische Kommunion zu Ende.
»Es ist vorbei«, sagte Pater Sebastian. »Geht jetzt schlafen. Schlaft und vergesst, bis man euch ruft.«
Ryan wachte in seinem Bett auf. Es war dunkel. Clay Matthews drehte sich gerade mit einem leisen Seufzen in seinem Bett auf der anderen Seite des Zimmers um und blieb dann still liegen.
Ein Alptraum … das konnte nur ein schrecklicher Alptraum gewesen sein!
Doch als sich kurz darauf jede einzelne Szene dieses Traumes noch einmal deutlich vor seinen Augen abspielte, wurde ihm auf einmal furchtbar schlecht. Er sprang aus dem Bett und rannte ins Badezimmer, und kaum hatte er sich vor die Toilette gekauert, erbrach er sich auch schon in hohem Bogen in die Schüssel. Als das Würgen und
Spucken endlich ein Ende gefunden hatte, blieb Ryan erschöpft hocken und starrte hinab auf die ekelhafte Masse in der Schüssel, die aussah wie eine Mischung aus Eingeweiden und frischem Blut.
Und das Zeug roch nicht wie Erbrochenes, sondern genau wie der verwesende Leichnam aus seinem Traum.
Wie aus eigenem Antrieb wanderte sein Blick von der Toilettenschüssel zu seinen zitternden Händen, und als er die beiden blutroten Male auf seinen Handflächen entdeckte, wo die Dolchklinge sich in sein Fleisch gebohrt hatte,
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