Das Teufelslabyrinth
nichts.
Wie war er nur in diese gottverlassene Gegend geraten? Er zermarterte sich den Kopf, doch das Letzte, woran er sich erinnerte, war, dass er im Speisesaal der St. Isaac’s Pfannkuchen zum Frühstück gegessen hatte.
Und dass ihm ein wenig schwindlig gewesen war. Dass er zurück auf sein Zimmer gegangen war und …
Plötzlich nahmen seine Erinnerungen Gestalt an. Heiß! Ihm war heiß gewesen, so schrecklich heiß, als brannte ihm jemand mit einem Flammenwerfer das Fleisch von den Knochen.
Und um ihn herum waren lauter Farben gewesen, grelle, pulsierende Farben, die er nicht nur hatte sehen, sondern auch fühlen können, die jeden Nerv in seinem Körper hatten vibrieren lassen.
Und Stimmen! Kehlige, abgehackte Laute einer Sprache, die ihm unbekannt war, deren Bedeutung er seltsamerweise jedoch verstanden hatte.
Dann waren diese Gestalten aufgetaucht, schreckliche, unglaublich schauerliche Kreaturen, die auch jetzt wieder in dieser dunklen, verlassenen Straße aus seinem Unterbewusstsein aufstiegen, um ihn zu verspotten, ihn mit anzüglich verzerrten Lippen und glühenden Augen anzugrinsen.
Und wie am Morgen in der Schule verspürte er auch hier den starken Drang zu fliehen.
War es das gewesen? War es ein schrecklicher Alptraum gewesen, vor dem er zu fliehen versucht hatte? Doch wenn
er geschlafen und das alles nur geträumt hatte, wie war er dann in diese menschenleere Straße, in diese unbekannte Gegend gelangt?
Also doch ein Traum. Aus dem er ganz bald wieder aufwachen würde, in seinem Zimmer in der Schule, wo Clay Matthews in dem anderen Bett leise vor sich hin schnarchte.
Jetzt war alles wieder klar. Er wischte sich mit den Händen das Gesicht ab, schwitzte trotz der nächtlichen Kühle.
Aus der Bar kam ein Betrunkener auf die Straße gestolpert, und Kip drückte sich in einen dunklen Hauseingang, sah unvermittelt alles verschwommen, so als schaute er durch ein schmieriges Fenster. Er rieb sich die Augen, doch das nützte nichts.
Dann befiel ihn erneut dieser eigenartige Schwindel, wie schon am Morgen, und er klammerte sich an der Ziegelmauer fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Leise vor sich hin singend, torkelte der Mann auf Kip zu, und während er ihn aus den Schatten heraus beobachtete, wuchs in ihm eine seltsame Gier.
Er wollte etwas - verspürte ein dringendes Verlangen.
Aber wonach?
Plötzlich begannen die unverständlichen Stimmen wieder zu plappern, und an den Rändern seines verschwommenen Sichtfeldes tauchten Dämonen auf, die nach ihm griffen, ihn anfassen, an ihm zerren wollten.
Ihn verschlingen.
Nein!
Seine rechte Hand fuhr in die tiefe Tasche seiner Cargohose, seine Finger schlossen sich um einen harten Gegenstand. Eine Sekunde später starrte er auf ein Messer.
Ein langes Klappmesser mit einem Knochengriff, in dem eine dicke Klinge steckte.
Kip hatte dieses Messer noch nie zuvor gesehen - da war er sich sicher -, aber er wusste, was er zu tun hatte.
Er drückte auf den kleinen Knopf in der Mitte des Griffs. Die Klinge klappte heraus und rastete ein.
Dann strich er mit dem Daumen der linken Hand leicht über die Schneide und beobachtete erstaunt, wie aus dem klaffenden Schnitt Blut sickerte.
Im gleichen Moment jagte ein sengender Schmerz durch seine Hand bis hinauf in seinen Arm.
Und die Stimmen der Dämonen glucksten vor Vergnügen.
Er trat aus dem finsteren Hauseingang heraus und stellte sich dem Betrunkenen in den Weg. Der Mann verlangsamte seine Schritte, stutzte. Richtete den gläsernen Blick auf das Messer, dann auf Kip.
Selbst im schwachen Lichtschein der Straßenlaterne an der Ecke konnte Kip sehen, dass der Mann kreidebleich wurde. In der nächsten Sekunde wieder stocknüchtern, wirbelte er auf dem Absatz herum, stolperte eilig den Gehsteig entlang und verschwand wieder in der Bar.
Kip senkte den Blick auf das Messer in seiner Hand, an dessen Klinge sein eigenes Blut schimmerte. Er verstärkte den Griff seiner Finger, drehte sich um und ging in die andere Richtung davon. Am Ende des Blocks fiel kurz Licht auf den Gehsteig, als jemand aus einem der alten Sandsteinhäuser trat. Gleich darauf ging das Licht wieder aus, und eine Gestalt stieg die wenigen Stufen hinab auf den Gehsteig.
Wieder suchte Kip Schutz im Schatten eines Hauseingangs. Er schwitzte aus allen Poren.
Die Gestalt wandte sich um und ging in die andere Richtung davon. Es war eine Frau mit einem kleinen Hund an der Leine.
Kip schlüpfte aus seinem Versteck und lief hinter der
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