Das Teufelslabyrinth
Frau her. Seine Schritte verursachten kaum ein Geräusch.
Irgendwo am Rande seiner Wahrnehmung hörte er einen Laut, ein leises Wimmern.
Wie das Wimmern, das die Frau vermutlich hören ließe, wenn er das Messer tief in ihren Leib rammte.
Er beschleunigte seine Schritte. Und mit dem Wimmern im Ohr, das immer lauter wurde, näherte er sich unbemerkt dieser einsamen Gestalt, die Finger fest um den Messergriff geschlossen.
Als der Hund an einem Wasserhydranten das Bein hob, blieb die Frau stehen, und da spürte sie plötzlich, dass sie nicht allein auf der Straße war. Sie drehte sich um, starrte ihn an. Ihre Augen weiteten sich, und sie wurde genauso kreidebleich wie der Betrunkene zuvor. Und genau in dem Augenblick, als das Wimmern zu dem schrillen Kreischen einer Sirene anwuchs, zuckte die Frau zurück, fuhr herum und rannte davon.
Zu spät.
Kip setzte ihr nach, streckte die linke Hand aus und bekam sie an den Haaren zu fassen. Riss sie mit einem Ruck zurück, dass sie gegen seinen Körper taumelte.
Irgendwo in der Dunkelheit pulsierten rote und blaue Lichter, und die Sirenen schrillten ununterbrochen.
Sekunden später brüllten Stimmen auf ihn ein. Kip erstarrte.
In dem ganzen Lärm hörte er den kleinen Hund bellen, und auch die Frau fing an zu schreien.
Während Kip mit der linken Hand den Kopf der Frau noch ein Stück weiter nach hinten riss, bewegte sich
seine Rechte wie von selbst an ihren Hals und zog im nächsten Moment die Klinge quer über ihre Kehle. Augenblicklich verstummten ihre Schreie zu einem blubbernden Gurgeln, und aus der klaffenden Wunde spritzte eine Blutfontäne. Ihre Knie knickten ein, und als die Frau auf dem Gehsteig zusammenbrach, stürzte Kip mit ihr zu Boden. Er hockte sich auf die Knie, über die Frau gebeugt, die mit glasigem Blick zu ihm hoch starrte.
Die Sirenen verstummten.
Wagentüren schlugen zu.
Stimmen - echte Stimmen - brüllten durch die Nacht.
Kip hörte nichts außer den Stimmen der Dämonen, die ihn hitzig anfeuerten. Er hob das Messer und stieß es der Frau tief in die Brust.
Es waren nur mehr die Reflexe, die ihren Körper erschauern ließen.
Wieder hob Kip die Hand mit dem Messer.
Spürte, wie ihn etwas im Rücken traf, vernahm ein lautes Knallen.
Das Messer bohrte sich noch einmal in den Leib der Frau. Und während die Klinge ihren Magen und die Därme durchschnitt, wurde Kip von einer zweiten Kugel getroffen.
Diesmal nicht in den Rücken.
Sondern in den Kopf. Und in dem Augenblick, als das Projektil die Schädeldecke zertrümmerte und in sein Gehirn drang, senkte sich Dunkelheit über ihn.
Er fiel vornüber, überließ seine Seele den feixenden Dämonen und sank tot über dem Körper der Frau zusammen, die er gerade ermordet hatte.
Auf der Straße wurde es ruhig - und auch die Dämonen verstummten.
9
Er lag wieder zusammengekrümmt auf dem Fliesenboden der Jungentoilette, den Kopf zwischen den Armen, um sich vor dem nächsten Tritt zu schützen. Bloß hatte er es diesmal nicht nur mit Stan Wojniak und Bennie Locke zu tun. Jetzt war auch Frankie Alito mit von der Partie und noch drei andere Burschen, und alle traten sie auf ihn ein, rammten ihm ihre Schuhe in die Seite und ins Gesicht. Sogar die gefliesten Wände schienen ihm immer näher auf den Leib zu rücken, er konnte sich nirgendwo verstecken, und immer mehr Jungs tauchten um ihn herum auf, und dann sah er die Messer.
Zuerst in Alitos Hand und dann in Lockes, und dann hatten sie alle Messer und kamen immer näher, und sein Herz hämmerte wie verrückt und so laut, dass er es hören konnte, und er machte den Mund auf, wollte schreien, aber kein Mucks kam heraus und …
… Ryan wachte in dem abgedunkelten Krankenzimmer auf. Nur das wilde Pochen seines Herzens störte die nächtliche Stille - und der Nachhall seines Stöhnens als Antwort auf den unsäglichen Schmerz in seiner Brust, der bis in sein von den Schmerzmitteln getrübtes Bewusstsein vordrang und ihn zu zerreißen drohte.
Er lag ganz still, versuchte die krampfartigen Schmerzen zum Abklingen zu zwingen. Die Prügelei war vorbei - er war in Sicherheit. Er lag im Krankenhaus und würde morgen nach Hause gehen dürfen.
Morgen oder am Sonntag.
Als die Schmerzen endlich ein wenig nachließen, drehte er sich vorsichtig auf seine gesunde Seite und zuckte erneut
stöhnend unter dem Schmerz seiner gebrochenen Rippen zusammen. Wieder verhielt er sich ganz ruhig und schloss die Augen, aber nach diesem Alptraum wollte er eigentlich nicht
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