Das Teufelslabyrinth
und ich finde, wir leisten überwiegend sehr gute Arbeit. Keiner von uns hat etwas in der Art kommen sehen, und es gibt auch keinen Grund, warum wir mit so etwas hätten rechnen müssen. Wir können nicht wissen, was in jeder Sekunde in jedem einzelnen unserer Schüler vor sich geht.«
»Trotzdem habe ich das Gefühl, ich hätte …«, begann Bruder Francis aufs Neue, doch diesmal ließ ihn Schwester Margaret nicht einmal ausreden.
»Bruder Francis, unsere Aufgabe ist es, uns um die Kinder zu kümmern und nicht, uns selbst zu bemitleiden.« Unter ihrem tadelnden Blick fühlte sich Bruder Francis unwillkürlich in seine kleine Provinzschule zurückversetzt und vermeinte bereits den brennenden Schlag des Holzlineals auf den Fingerknöcheln zu spüren. »Meinen Sie, Sie können Ihre eigenen Gefühle wenigstens so lange hintanstellen, bis Sie mit den anderen Jungen über diesen tragischen Vorfall gesprochen haben?«
Bruder Francis wurde rot bis unter die Haarwurzeln. »Selbstverständlich. Ich brauche nur ein paar Minuten Zeit, um meine Gedanken zu ordnen.«
»Die Zeit sollten wir uns alle nehmen«, warf Pater Sebastian ein, bevor Schwester Margaret noch weiter auf Bruder Francis einhacken konnte. »Und wenn wir später Fragen beantworten müssen - nicht nur vonseiten der
Polizei, sondern auch von unseren Schülern und deren Eltern -, sollten wir unbedingt in Erinnerung behalten, dass dies hier nicht der Zeitpunkt für Schuldzuweisungen ist, weder an Kip Adamson gerichtet noch an sonst irgendwen. Unglücklicherweise schleicht sich das Böse immer wieder in die Welt, in der wir leben, und niemand ist dagegen gefeit. Und nur allzu oft hat es den Anschein, als seien Jugendliche noch weniger dagegen gefeit als die Erwachsenen.«
»Dennoch entscheidet jeder Mensch selbst, was er tut oder was er lässt«, setzte Schwester Margaret verschnupft hinzu und machte kein Hehl daraus, dass sie Pater Sebastians Worte zutiefst missbilligte.
»Wie dem auch sei«, fuhr Pater Sebastian in verbindlichem Tonfall fort, »im Augenblick besteht unsere Aufgabe darin, unseren Schülern und deren Eltern die Gewissheit zu vermitteln, dass, was immer Kip Adamson dazu verleitet hat, diese arme Frau anzugreifen, nichts mit unserer Schule zu tun hat. Der Junge hatte Probleme, als er zu uns kam - und ist er nicht gerade deshalb zu uns gekommen? Und wir haben auch nicht versagt - wir hatten schlichtweg nicht genügend Zeit, um erfolgreich eine Veränderung bei ihm zu bewirken. Das Böse lässt sich leider nicht von einem Augenblick zum nächsten ausmerzen, und was immer an Bösem in Kip Adamson steckte, war offenbar sehr viel stärker, als wir angenommen hatten.«
Eine Weile lang herrschte Schweigen, dann setzte sich Pater Laughlin in seinem Stuhl auf und sah in die Runde. »Pater Sebastian hat Recht«, erklärte er. »In Zukunft sollten wir alle sehr viel wachsamer sein.«
Patrick North und Kevin Peterson arbeiteten schon so lange als Partner zusammen, dass sich die beiden Kriminalbeamten
nicht eigens absprechen mussten, bevor sie Kip Adamsons Zimmer in der St. Isaac’s Academy betraten; North würde sich in dem Raum umsehen, während Peterson sich mit Kips Zimmergenossen unterhielt. Peterson hatte eine besondere Art, die Menschen dazu animierte, sich gerne mit ihm zu unterhalten. North hatte es bereits vor Jahren aufgegeben, seinem Kollegen nachzueifern, und sich stattdessen darauf konzentriert, seine ohnehin bereits scharfen Augen und seinen angeborenen Instinkt zu verfeinern. Meistens wusste er genau, wo er nachsehen musste, um das zu finden, wonach er suchte. Mit Ausnahme seiner Schlüssel, die ihm mindestens zweimal am Tag abhandenkamen. Deshalb händigte er diese auch seinem Kollegen aus, bevor er sich ein Paar Latexhandschuhe überstreifte und seine Suche begann, auch diesmal mit der üblichen Gründlichkeit, obwohl das Desinteresse von Adamsons Freunden bereits andeutete, dass er sich die Handschuhe umsonst angezogen hatte. Denn wenn es hier etwas zu finden gäbe, wusste North aus Erfahrung, wären Clay Matthews und Darren Bender um einiges nervöser gewesen.
»So, du und Kip habt euch schon letztes Jahr ein Zimmer geteilt, richtig?«, hörte North seinen Kollegen zu Clay Matthews sagen, wobei Peterson seine Notizen zurate zog, obwohl er jedes Detail genau im Kopf hatte.
»Korrekt«, bestätigte Clay. »Als Kip hier ankam, haben die ihn gleich zu mir ins Zimmer gesteckt.«
»Und dieses Jahr habt ihr euch wieder für ein gemeinsames
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