Das Teufelslabyrinth
angerufen, und er war bereits bei ihr.«
Pater Sebastian überlegte. »Sollten nicht Pater Laughlin oder ich ihr ebenfalls einen Besuch abstatten?«
»Daran habe ich auch gedacht«, warf Bruder Francis ein, »aber Pater Laughlin meint, es wäre am besten, wenn ihr eigener Priester sich um sie kümmert.«
»Ich kann das immer noch nicht glauben«, ließ sich Schwester Mary David vernehmen; ihre Lippen waren nur mehr ein dünner Strich in ihrem Gesicht, so als wäre der Tod des Jungen ein Affront gegen sie persönlich. »Dabei hat er sich hier gar nicht so schlecht geführt. Nein, er hat sich eigentlich sehr gut gemacht - seine Noten waren tadellos und …«
»Die Polizei wird uns heute aufsuchen«, fiel ihr Pater Laughlin ins Wort und erntete dafür einen finsteren Blick von Schwester Mary David, die offenbar noch eine ganze Menge mehr zu sagen hatte. »Und die Beamten werden wissen wollen, ob irgendjemand etwas an Kip aufgefallen ist. Etwas Ungewöhnliches.« Sein erschöpfter Blick wanderte von einem Gesicht zum anderen. »Hat jemand etwas bemerkt?«
Pater Sebastian blickte sich ebenfalls in der Runde um und stellte fest, dass keiner der Anwesenden sicher zu sein schien, was er auf Pater Laughlins Frage antworten sollte, ganz zu schweigen von denen der Polizei. »Mir ist nichts aufgefallen. Und ich kann Schwester Mary David nur beipflichten - Kip hat sich wirklich gut geführt. Wenn man von den üblichen Sünden eines Jungen seines Alters absieht, selbstverständlich.« Er unterdrückte ein Schmunzeln, als Schwester Margaret errötete und Schwester Mary David missbilligend die Stirn in Falten legte. »Aber ich habe ihm die Beichte abgenommen und ihm eine Buße auferlegt. Wirklich, ich war der Meinung, dass wir bei ihm sehr gute Fortschritte erzielt haben. Zumindest bis gestern.«
Pater Laughlin atmete noch einmal tief durch. Er schien sich wieder etwas besser im Griff zu haben. »Also schön. Sollte sich jemand doch noch an etwas Ungewöhnliches Kips Verhalten betreffend erinnern, dann möge er es bitte zuerst hier vorbringen. Zu diesem Zeitpunkt kann niemandem mehr geholfen werden - weder dem Adamson-Jungen noch der armen Frau, die er angegriffen hat.« Er machte eine kurze Pause, und als er dann weitersprach, klang seine Stimme eine Nuance schärfer. »Ich bin sicher, dass wir alle begreifen, dass wir keinerlei Publicity brauchen, die ein negatives Licht auf die Schule oder unsere
Kirche wirft. Letztere hat bereits genügend Negativschlagzeilen abbekommen, mehr kann sie in absehbarer Zukunft nicht verkraften.« Wieder nahm er alle Anwesenden der Reihe nach ins Visier. »Habe ich mich verständlich ausgedrückt?«
»Ich glaube, es ist völlig unerheblich, was wir sagen«, erklärte Schwester Mary David. »Mit Sicherheit wird es einige Eltern geben, die ihre Kinder nach diesem Vorfall von der Schule nehmen, und im nächsten Jahr werden wir mit der Rekrutierung neuer Schüler einige Schwierigkeiten haben.« Sie wandte sich an Schwester Margaret. »Wir sollten eine Erklärung für die Presse bereithalten.«
Pater Laughlin legte den Kopf in die Hände und massierte mit den Fingerspitzen seine Schläfen, als könnte er dadurch die Probleme beseitigen, die - davon war er überzeugt - in nächster Zeit auf ihn niederprasseln würden.
»Wir sollten heute den Unterricht ausfallen lassen«, schlug Pater Sebastian vor, als Pater Laughlin nach einer Weile immer noch schwieg. »Wir lesen für Kip eine Messe und halten uns anschließend in unseren jeweiligen Büros zur Verfügung, falls der eine oder andere Schüler über die Sache reden möchte. Was die Polizei betrifft, so bin ich der Meinung, dass es am besten ist, wir beantworten ihre Fragen so ausführlich und wahrheitsgetreu wie möglich.«
Während die beiden Nonnen einvernehmlich nickten, hob Bruder Francis die Hand wie ein Schüler, der im Unterricht etwas nicht verstanden hat.
»Ich kann mir nicht helfen, aber ich werde einfach das Gefühl nicht los, dass ich Schuld an dieser tragischen Geschichte habe«, sagte er. »Habe ich da etwas übersehen?
Irgendwelche Anzeichen? Habe ich etwas falsch gemacht? Hätte ich das voraussehen müssen - vielleicht mehr Zeit mit Kip verbringen oder ihm mehr Aufmerksamkeit schenken müssen?«
Schwester Margaret blickte ihn über die Ränder ihrer schmalen Lesebrille hinweg an, die sie ständig auf der Nase trug. »Wir haben hier über zweihundert Schüler«, erklärte sie. »Wir können nur tun, was in unserer Macht steht,
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