Das Teufelslabyrinth
»Ich werde gleich morgen früh als Erstes mit Pater Sebastian sprechen und versichere Ihnen, dass wir Maßnahmen ergreifen werden.« Er sah hoch, um die Wirkung seiner Worte auf sein Gegenüber zu prüfen, aber der Gesichtsausdruck des Erzbischofs gab keinerlei Regung preis. » Drastische Maßnahmen«, setzte er hinzu. »Etwas Derartiges wird nie wieder vorkommen«, erklärte Pater Laughlin und atmete etwas erleichtert aus.
»Gut«, sagte der Erzbischof, lehnte sich wieder in seinem Stuhl zurück und lächelte schließlich. »Wir werden alle dafür beten, dass diese Gemeinde endlich wieder gesundet. Besonders St. Isaac’s.«
Pater Laughlin bemühte sich redlich, das Lächeln des Erzbischofs zu erwidern. »Ich danke Ihnen, Exzellenz.
Es gibt keine Veranlassung, sich Sorgen zu machen - darauf haben Sie mein Wort.«
Der Erzbischof ließ sein Lächeln in die Breite fließen, bis seine Lippen nur noch zwei dünne Linien waren, und hob leicht die Augenbrauen an. »Bruder Simon wird Sie hinausgeleiten.«
Wie auf einen unsichtbaren Wink hin ging die Bürotür auf, und der junge Seminarist trat ein. Er reichte Pater Laughlin die Hand, um ihm beim Aufstehen zu helfen, und keine zwei Minuten später befand Pater Laughlin sich bereits wieder auf dem Rückweg nach St. Isaac’s, begleitet von der bangen Frage, ob er demnächst genauso kurz und schmerzlos aus dem Schuldienst entlassen werden würde wie eben aus der Residenz des Erzbischofs.
Nein, entschied er. Ich werde alles tun, was notwendig ist. Aber ich werde die St. Isaac’s Academy nicht verlassen.
Verzagt starrte Sofia Capelli auf den kurzen Kerzenstummel und wünschte, er würde viel langsamer abbrennen. Sie hielt die Kerze so krampfhaft umfasst, dass ihre Finger bereits schmerzten, doch viel schlimmer als der Schmerz in den Fingern war der in ihren Beinen. Sie hatte das Gefühl, als kniete sie schon seit Stunden vor diesem Altar. Immer wieder hatte sie im Stillen ihre Gebete wiederholt, in der sicheren Überzeugung, dass jeden Moment die Tür aufgehen und Pater Sebastian hereinkommen und sie von dieser nächtlichen Wache erlöste. Doch die Tür hatte sich nicht geöffnet, und Pater Sebastian war auch nicht gekommen. Mit jeder Minute, die verstrich, fühlte sie sich elender, bis sie nichts anderes mehr empfand als eisige Kälte und sengende Schmerzen,
zu denen sich bei jeder kleinsten Bewegung der Beine das Stechen von tausend Nadeln gesellte, die sich in ihre Muskeln bohrten. Sie hatte schon lange aufgehört zu beten.
Stattdessen lauschte sie dem Pochen ihres Herzens, das immer lauter wurde.
Sie war müde - so müde wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Ihre Lider wurden schwer, und am liebsten hätte sie sich auf den Fußboden gelegt, die Kerze abbrennen lassen und einschlafen wollen. Aber was, wenn Schwester Mary David plötzlich auftauchte? Das wäre viel schlimmer, als wenn Pater Sebastian sie hier schlafend erwischte.
Der hatte wenigstens immer freundliche Augen.
Wenn Schwester Mary David einen hingegen anschaute, hatte man das Gefühl, sie versetzte einem allein durch ihren Blick eine Ohrfeige.
Wie lange sollte sie hierbleiben? Wollte Schwester Mary David sie wirklich stundenlang vor dem Altar knien lassen? Und was würde passieren, wenn die Kerze demnächst verlosch?
Dunkelheit.
Sie wäre in der Dunkelheit gefangen, hinter der verschlossenen Tür, und niemand außer Schwester Mary David würde wissen, wo sie steckte.
Sie wartete. Der Kerzenstummel wurde zusehends kürzer, und die unsäglichen Schmerzen in ihrem Körper wuchsen mit jedem Atemzug.
Dann, gerade als die Kerze so weit heruntergebrannt war, dass die kleine Flamme ihre Finger ansengte, hörte sie ein schwaches Geräusch.
Sogleich keimte Hoffnung in ihr auf, und sie fing wieder an zu beten - diesmal wirklich inbrünstig -, dass jemand
kommen und sie aus diesem Gefängnis entlassen möge.
Ihre flehenden Gebete wurden vom leisen Klicken des Türschlosses beantwortet. Tränen der Dankbarkeit schossen ihr in die Augen.
Die Tür ging auf, und aus dem Augenwinkel sah sie Pater Sebastian hereinschlüpfen und in einem kleinen, holzgeschnitzten Beichtstuhl verschwinden, der ihr in dem schummrigen Licht gar nicht aufgefallen war. Kurz darauf ging hinter der kleinen Kabine ein gelbliches Licht an, das einen goldenen Schimmer auf das gequälte Gesicht des Gekreuzigten warf.
Die tiefliegenden Augen des Erlösers schienen sie aus dem schrecklich verbitterten Gesicht heraus förmlich zu
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