Das Teufelslabyrinth
durchbohren.
Unbehaglich wandte Sofia den Blick von diesem anklagenden Gesicht ab, blies die Kerze aus, ehe die Flamme ihre Finger noch gänzlich versengte, und rappelte sich hoch, um in den Beichtstuhl zu gehen. Ihre Beine schmerzten entsetzlich, als sie erst den einen und dann den anderen Fuß auf den Boden setzte. Kaum stand sie aufrecht, wurde ihr vor Schwindel beinahe schwarz vor Augen.
In dem Moment, als ihre Knie nachzugeben drohten, bemerkte sie, dass da noch eine zweite Person in der Kapelle war - eine schwarz gekleidete Gestalt.
Schwester Mary David, die Sofias Schmerzen offenbar so richtig auskostete.
Nein, befahl Sofia sich selbst. Die Genugtuung darfst du ihr nicht geben.
Sie humpelte zum Beichtstuhl, zog den verstaubten Vorhang zu und ließ sich seufzend auf der harten Holzbank nieder.
Kurz darauf öffnete sich die kleine Luke in der Trennwand zwischen den beiden winzigen Abteilen, und Sofia stellte mit Befremden fest, dass das Gitter fehlte, das sie vor dem Priester abschirmte.
Sie starrte direkt in die dunklen, warmen Augen von Pater Sebastian.
Er fing ihren Blick auf, und zum ersten Mal in ihrem Leben beichtete Sofia im Angesicht eines Priesters, ohne Furcht und wahrhaftig zerknirscht. »Verzeiht mir, Vater«, wisperte sie, »denn ich habe gesündigt. Seit meiner letzten Beichte sind sechs Tage vergangen.«
»Ja, mein Kind?«
Pater Sebastians Stimme war so tröstlich wie die warme Milch, die ihre Mutter ihr immer ans Bett gebracht hatte, wenn sie als kleines Mädchen aus einem Alptraum erwacht war, und sie wusste, dass Pater Sebastian sie verstehen würde, ganz gleich, was sie ihm gestand. »Ich hatte unreine Gedanken, Pater. Ich habe mich meinem Freund gegenüber lüstern verhalten und Schwester Mary David gegenüber, die uns beim Küssen erwischte, trotzig und verärgert.«
»Und?«, drängte der Priester sie sanft fortzufahren.
»Das war in meinem Zimmer.«
»Sprich weiter.«
Die Worte kamen Sofia ganz leicht über die Lippen. »Und ich habe ihm erlaubt, meine Brüste zu berühren.«
Der Priester nickte kaum merklich. »Ist das alles?«
»Das ist alles«, antwortete Sofia und spürte, dass die Last der Schuld leichter geworden war.
»Das sind schwerwiegende Vergehen, Sofia«, erklärte der Priester mit leiser Stimme. »Daher muss ich eingehend über deine Buße nachdenken.«
Sofias Augen weiteten sich erschrocken. Hatte sie richtig gehört? Er würde ihr nicht sofort hier und jetzt die Absolution erteilen? Sie sah ihm in die Augen. Was hatte das zu bedeuten? Was könnte er von ihr verlangen? »Es tut mir sehr leid, Pater«, flüsterte sie. »So etwas wird nicht wieder vorkommen.«
»Davon bin ich überzeugt, Sofia«, erwiderte Pater Sebastian. »Fürs Erste möchte ich, dass du vor dem Zubettgehen sechs Ave-Marias betest und sechs weitere morgen früh vor dem Frühstück. Und ich möchte, dass du morgen Abend vor der Vesper wieder hier unten erscheinst.«
»Hier unten?«, wiederholte Sofia und spürte, wie sie bei dem entsetzlichen Gedanken, in diese seltsame Kapelle zurückkehren zu müssen, eine Gänsehaut überlief. »Nein, Pater, bitte…«
Pater Sebastian hob den rechten Zeigefinger, um ihr Schweigen zu gebieten. »Du darfst jetzt gehen.«
Sofia fuhr herum. Das war nicht richtig so - so war das normalerweise nicht. Nach ihrer Beichte erhielt sie sonst immer die Absolution und die ihr auferlegte Buße, und dann war die Beichte vorbei. »Wer… werden Sie mir nicht die Absolution erteilen?«, stammelte sie.
»Morgen«, erwiderte der Priester mit einem milden Lächeln. »Mach dir keine Gedanken, Sofia. Es kommt alles in Ordnung.«
Das kleine Fenster wurde geschlossen, und Sofia war allein.
Still blieb sie in dem schwach erleuchteten Beichtstuhl sitzen und spürte nichts von dem Gefühl der Erleichterung, das sie nach einer Beichte sonst immer empfand. Warum hatte Pater Sebastian ihr nicht gleich ihre Sünden vergeben?, fragte sie sich im Stillen und wusste im gleichen
Moment die Antwort: Er wollte, dass sie über ihre Taten nachdachte. Wenn er ihr einfach die üblichen Ave-Marias und Vaterunser aufgebrummt hätte, hätte sie ihre Sünden morgen schon wieder vergessen gehabt.
Wahrscheinlich ließ Pater Sebastian sie bis morgen schmoren, damit sie beim nächsten Mal genauer überlegte, was sie tat.
Er machte einfach nur seinen Job, indem er sich um ihre Seele bemühte.
Sofia blieb noch eine Minute sitzen, dann bekreuzigte sie sich ein letztes Mal und zog den staubigen
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