Das Teufelsspiel
verpasste ihr einen wuchtigen Stoß. Amelia stürzte in ein Blumenbeet. Weitere Schüsse verfehlten sie nur knapp. Dann wandte Boyd sich den Streifenbeamten zu, die soeben aus ihrem Wagen sprangen. Seine Kugeln stanzten Löcher in die Reifen und Karosserie des Streifenwagens, sodass die Cops hinter dem Fahrzeug in Deckung gehen mussten. Die Polizisten kamen nicht vom Fleck, aber sie würden den Vorfall melden und für baldige Verstärkung sorgen.
Was andererseits bedeutete, dass Boyd sich nur noch in eine Richtung bewegen konnte – auf Sachs zu. Sie duckte sich hinter ein paar Büsche. Boyd schoss nicht mehr, aber sie hörte, wie seine Schritte sich näherten. Noch sechs Meter, schätzte sie. Dann drei. Jede Sekunde musste sein Gesicht vor ihr auftauchen, gefolgt von der Mündung seiner Waffe. Dann würde sie sterben …
Rumms.
Rumms.
Amelia richtete sich ein Stück auf und stützte sich auf einen Ellbogen. Sie konnte den Killer sehen. Er war ganz in der Nähe und trat gegen eine andere Souterraintür, die allmählich nachgab. Sein Gesicht war auf unheimliche Weise ruhig – wie das des Gehängten auf der Tarotkarte, die er bei Geneva Settles Leiche zurücklassen wollte. Er glaubte offenbar, Sachs mit seinen Kugeln getroffen zu haben, denn er achtete nicht auf sie. Stattdessen konzentrierte er sich darauf, die Tür einzutreten – die den einzig verbleibenden Fluchtweg darstellte. Ein- oder zweimal sah er über die Schulter zum anderen Ende des Blocks, von wo aus die Streifenbeamten sich ihm näherten – allerdings nur langsam, denn er gab immer wieder einen ungezielten Schuss auf sie ab.
Ihm musste doch allmählich die Munition ausgehen, dachte Sachs. Wahrscheinlich hatte er …
Boyd ließ das leere Magazin aus dem Griff der Pistole rutschen, steckte ein neues hinein und lud durch.
Okay, dann eben nicht …
Amelia konnte einfach ausharren und hoffen, dass die anderen Cops hier eintrafen, bevor ihm die Flucht gelang.
Doch sie musste an die Brünette in dem Bungalow denken, die in ihrem Blut lag – und vielleicht inzwischen gestorben war. Der durch die Stromfalle verletzte Beamte fiel ihr ein, dann der Bibliothekar, der am Vortag ermordet worden war. Sie dachte an den jungen Neuling Pulaski, sein zerschlagenes und blutiges Gesicht. Aber vor allem dachte sie an die arme kleine Geneva Settle, deren Leben ständig bedroht blieb, solange Boyd sein Unwesen treiben konnte. Sie traf eine Entscheidung und nahm den leeren Revolver.
Thompson Boyd trat noch einmal gegen die Tür. Sie gab nach. Er würde es bis in die Wohnung schaffen, und dann …
»Keine Bewegung, Boyd. Lassen Sie die Waffe fallen.«
Thompson hob überrascht den Kopf. Seine Augen brannten. Er ließ den Fuß sinken, der bereits zum nächsten Tritt ausgeholt hatte.
Nanu, was war das denn?
Er behielt die Waffe unten, drehte sich langsam um und sah die Frau an. Ja, genau wie er vermutet hatte: Es war die Beamtin der Spurensicherung, die er tags zuvor in der Museumsbibliothek dabei beobachtet hatte, wie sie hin und her ging, hin und her, wie eine Gehörnte Klapperschlange. Rotes Haar, weißer Overall. Es hatte ihm Spaß gemacht, sie zu beobachten. Zu bewundern. Es gab an ihr jede Menge zu bewundern, dachte er. Und sie war eine gute Schützin.
Es erstaunte ihn, dass sie noch lebte. Er war sich sicher gewesen, sie mit der letzten Salve getroffen zu haben.
»Boyd, ich werde schießen. Lassen Sie die Waffe fallen und legen Sie sich auf den Gehweg.«
Er dachte daran, dass die nächsten paar Tritte die Tür aufbrechen würden. Dann könnte er auf die Gasse hinter dem Haus gelangen. Eventuell hatten die Bewohner ein Auto. Er könnte den Schlüssel nehmen, alle Leute dort niederschießen, um die Polizei mit weiteren Verwundeten zu beschäftigen, und fliehen.
Zunächst musste natürlich eine andere Frage geklärt werden: Hatte die Frau überhaupt noch Munition übrig?
»Haben Sie gehört, Boyd?«
»Sie sind das also.« Er kniff die brennenden Augen zusammen. Die nächste Murine-Dosis war fällig. »Hab ich’s mir doch gedacht.«
Sie runzelte die Stirn. Sie wusste nicht, was er meinte. Vielleicht fragte sie sich, ob er sie schon mal gesehen hatte und woher er sie kannte.
Boyd rührte sich nicht. Er musste Klarheit gewinnen. Sollte er schießen oder nicht? Falls er es versuchte und sie tatsächlich noch einen Schuss in der Trommel hatte, würde sie abdrücken. Daran bestand für ihn nicht der geringste Zweifel. Diese Frau war garantiert nicht
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