Das Teufelsspiel
falls nicht sie zu Hause gewesen wäre, sondern die Kinder?«, fragte Sachs entsetzt. »Hätten Sie eines der Mädchen niedergeschossen, um zu entkommen?«
Er dachte kurz darüber nach. »Tja, Ma’am, ich schätze, wir wissen beide, dass das funktioniert hätte, nicht wahr? Sie wären dort geblieben, um das Kind zu retten, anstatt mich zu verfolgen. Genau wie mein Vater immer gesagt hat: Der einzige Unterschied ist die Größe.«
Die Finsternis schien von seinem Gesicht zu weichen, als habe er eine Antwort erhalten oder sei bei einer Frage, die ihn schon lange beschäftigte, endlich zu einem Entschluss gelangt.
Der Gehängte … Die Karte sagt oftmals ein Sichfügen in das Unabänderliche voraus, das Ende einer Auflehnung, die Akzeptanz des Gegebenen.
Er sah Rhyme an. »Falls Sie nichts dagegen haben, würde ich nun gern nach Hause zurückkehren.«
»Nach Hause?«
Er schien belustigt zu sein. »Ins Gefängnis.«
Als wolle er fragen, was wohl sonst damit gemeint sein könnte.
An der Hundertfünfunddreißigsten Straße stiegen Vater und Tochter aus der Linie C und gingen nach Osten, in Richtung der Langston Hughes Highschool.
Sie hatte nicht gewollt, dass er mitkam, aber er ließ sich nicht davon abbringen – und Mr. Rhyme und Detective Bell hatten ebenfalls darauf bestanden, dass er auf sie aufpasste. Außerdem würde er schon am folgenden Tag wieder in Buffalo sein, dachte sie. Ein oder zwei Stunden ließ er sich bestimmt noch ertragen.
Er deutete über die Schulter auf die U-Bahn. »Die Züge der Linie C hab ich besonders gern besprüht. Die Farbe hielt wirklich gut … Und ich wusste, dass jede Menge Leute sie sehen würden. 1976 hab ich eine komplette Wagonseite bemalt. Damals war die Zweihundertjahrfeier, und im Hafen ankerten all die großen Segelschiffe. Mein Bild zeigte eines dieser Schiffe und die Freiheitsstatue.« Er lachte. »Es hieß, die Verkehrsbetriebe hätten den Wagen mindestens eine Woche nicht abgeschrubbt. Wahrscheinlich war bloß zu viel zu tun, aber ich stelle mir gern vor, dass mein Bild jemandem dort gefallen hat und deshalb länger als üblich erhalten geblieben ist.«
Geneva schnaubte verächtlich. Sie hatte auch eine Geschichte zu erzählen. In einem Block Entfernung konnte sie das Baugerüst vor genau dem Haus sehen, an dem sie vor ihrer Entlassung zuletzt gearbeitet hatte. Wie würde es ihrem Vater wohl gefallen, dass es ihre Aufgabe gewesen war, die Fassaden der renovierten Gebäude von Graffiti zu befreien? Womöglich hatte sie sogar einige seiner Werke weggekratzt. Sie war versucht, es ihm zu sagen. Doch sie tat es nicht.
An der ersten funktionierenden Telefonzelle auf dem Frederick Douglass Boulevard blieb Geneva stehen und suchte in ihrer Tasche nach Kleingeld. Ihr Vater hielt ihr sein Mobiltelefon hin.
»Nicht nötig.«
»Nimm es.«
Sie ignorierte ihn, warf die Münzen ein und rief Lakeesha an, während ihr Vater sein Telefon einsteckte, zum Straßenrand schlenderte und sich mit großen Augen umschaute, als wäre er ein kleiner Junge, der in einem Laden vor den Gläsern mit den Süßigkeiten stand.
Als ihre Freundin abhob, drehte Geneva sich weg. »Hallo?«
»Es ist alles ausgestanden, Keesh.« Sie erzählte ihr von der Juwelenbörse und dem Bombenanschlag.
»Das steckte dahinter? Verdammt. Ein Terrorist? Was für ’ne gruselige Scheiße. Aber dir geht es gut?«
»Ja. Wirklich.«
Geneva hörte eine männliche Stimme, die etwas zu ihrer Freundin sagte. Lakeesha deckte die Sprechmuschel kurz mit der Hand ab. Der gedämpfte Wortwechsel klang ziemlich hitzig.
»Bist du noch da, Keesh?«
»Ja.«
»Wer ist das?«
»Niemand. Wo steckst du? Du haust nicht mehr in dieser Kellerbude, oder?«
»Ich wohne immer noch bei diesem Polizisten und seiner Freundin, wie ich dir schon erzählt habe. Bei dem Mann in dem Rollstuhl.«
»Bist du jetzt da?«
»Nein, in Uptown. Ich bin unterwegs zur Schule.«
»Um diese Zeit?«
»Ich will meine Hausaufgaben abholen.«
Lakeesha hielt inne. »Hör zu«, sagte sie dann. »Wir treffen uns bei der Schule. Ich möchte dich sehen. Wann kommst du hin?«
Geneva schaute zu ihrem Vater, der ganz in der Nähe stand, die Hände in den Taschen vergraben hatte und immer noch die Straße betrachtete. Sie beschloss, dass sie vorerst nicht wollte, dass ein Außenstehender von ihm erfuhr, weder Keesh noch sonst jemand.
»Lass es uns auf morgen verschieben, Keesh. Ich hab gerade keine Zeit.«
»Ach, Gen.«
»Ehrlich. Morgen ist
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