Das Teufelsspiel
Richtung. Sie hielt eine Klarsichthülle in der Hand. Darin steckte ein Brief, der an die New York Times adressiert war und besagte, die Zerstörung der Juwelenbörse sei nur ein weiterer Schritt im heiligen Krieg gegen das zionistische Israel und seine Verbündeten. Er war auf dem gleichen Papier verfasst, das man für den bei Boyd gefundenen Mordauftrag und den Lageplan der Fünfundfünfzigsten Straße West verwendet hatte.
»Wer war er?«, fragte Geneva und versuchte sich daran zu erinnern, ob sie vor dem Museum irgendwann einen Lieferwagen und einen arabisch wirkenden Mann gesehen hatte. Vergeblich.
»Ein saudi-arabischer Staatsbürger mit abgelaufenem Visum«, sagte Detective Sellitto. »Hat für ein Restaurant in Downtown gearbeitet. Die Eigentümer sind natürlich völlig außer sich. Sie glauben, wir würden sie jetzt für eine Tarnfirma von al-Qaida halten oder so.« Er kicherte. »Was sie tatsächlich sein könnten. Wir kümmern uns darum. Doch wir werden nichts finden – es sind ganz normale Bürger, die schon seit Jahren hier leben. Zwei ihrer Kinder sind sogar in der Armee. Aber im Augenblick geht ihnen der Arsch auf Grundeis, das könnt ihr mir glauben.«
Amelia erläuterte, der Attentäter – ein Mann namens Bani al-Dahab – habe offenbar nicht mit anderen mutmaßlichen Terroristen in Verbindung gestanden. Seine Arbeitskollegen sowie die Frauen, mit denen er in letzter Zeit ausgegangen war, hatten gesagt, sie hätten ihn nie in verdächtiger Gesellschaft gesehen, und seine Moschee galt in religiöser und politischer Hinsicht als moderat. Sachs hatte seine Wohnung in Queens durchsucht und keine weiteren Spuren oder Hinweise auf andere terroristische Zellen gefunden. Seine Telefondaten wurden derzeit noch auf mögliche Kontakte zu anderen Fundamentalisten überprüft.
»Wir werden allen Hinweisen nachgehen«, sagte Rhyme, »aber wir sind uns zu neunundneunzig Prozent sicher, dass er allein gearbeitet hat. Ich glaube, dir droht voraussichtlich keine Gefahr mehr.«
Er fuhr in seinem Rollstuhl zum Tisch mit den Beweismitteln und betrachtete einige Tüten, die verbranntes Metall und Plastik enthielten. »Trag es in die Tabelle ein, Mel«, sagte er zu Mr. Cooper. »Der Sprengstoff war Tovex, und wir haben Teile des Fernzünders – das Gehäuse, ein paar Kabel und ein Stück der Zündkapsel. Alles verstaut in einem UPS-Karton, adressiert an die Juwelenbörse, zu Händen des Direktors.«
»Warum ist sie zu früh explodiert?«, fragte Jax Jackson.
Mr. Rhyme erklärte, es sei sehr gefährlich, mitten in der Stadt eine funkgesteuerte Bombe zu benutzen, weil es dort ständig eine Vielzahl von Funksignalen gebe – von Zündern auf Baustellen, Walkie-Talkies und hundert anderen Quellen.
»Oder er hat Selbstmord begangen«, fügte Detective Sellitto hinzu. »Er könnte von Boyds Verhaftung gehört haben – oder davon, dass die Juwelenbörse nach einer Bombe durchsucht wurde. Vielleicht hat er sich ausgerechnet, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis man ihn erwischen würde.«
Geneva fühlte sich verunsichert und verwirrt. Die Leute um sie herum waren plötzlich Fremde. Der Grund, aus dem sie sich überhaupt erst zusammengefunden hatten, existierte nicht mehr. Und was ihren Vater anbetraf, war er ihr fremder als die Polizei. Sie wollte zurück nach Harlem in ihren Kellerraum – mit ihren Büchern und Zukunftsplänen, den Träumen vom College, von Florenz und Paris.
Aber dann bemerkte sie, dass Amelia sie aufmerksam musterte. »Was hast du jetzt vor?«, fragte die Polizistin.
Geneva schaute zu ihrem Vater. Ja, was würde sein? Sie hatte nun zwar ein Elternteil, aber dabei handelte es sich um einen Exsträfling, der sich nicht mal hier in der Stadt aufhalten durfte. Wahrscheinlich würde man sie trotzdem in ein Heim stecken wollen.
Amelia sah Lincoln Rhyme an. »Warum lassen wir nicht alles so, wie es ist, solange noch nichts Näheres feststeht? Geneva bleibt vorläufig hier.«
»Hier?«, fragte das Mädchen.
»Dein Vater muss zurück nach Buffalo und dort alles regeln.«
Wobei nicht zur Debatte steht, dass ich je mit ihm zusammenleben werde, dachte Geneva, behielt den Gedanken aber für sich.
»Hervorragende Idee«, sagte Thom. »Ich bin ebenfalls dafür.« Er klang sehr entschlossen. »Du bleibst hier.«
»Bist du damit einverstanden?«, fragte Amelia sie.
Geneva war sich nicht sicher, weshalb diese Leute sie hier behalten wollten, und empfand automatisch Misstrauen. Aber sie musste sich
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