Das Teufelsspiel
im Augenblick weder Harlem noch Hip-Hop oder die eigene kriminelle Vergangenheit. Er hatte seine Waffe. Er wusste, wo das Mädchen war. Nun zählte nur noch, wie lange er wohl brauchen würde, um zur Langston Hughes Highschool zu gelangen.
… Zwölf
Die zierliche Asiatin sah Sachs verunsichert an.
Kein Wunder, dachte Amelia. Immerhin wurde die Frau von einem halben Dutzend Streifenbeamten umringt, von denen jeder fast doppelt so groß wie sie selbst zu sein schien, und ein weiteres Dutzend wartete draußen vor dem Laden.
»Guten Tag«, sagte Sachs. »Dieser Mann, nach dem wir suchen … es ist sehr wichtig, dass wir ihn finden. Er hat wahrscheinlich mehrere schwere Verbrechen begangen.« Sie sprach etwas langsamer, als es ihrer Ansicht nach politisch korrekt gewesen wäre.
Womit sie, wie sich herausstellte, kräftig ins Fettnäpfchen trat.
»Das weiß ich«, erwiderte die Frau in perfektem Englisch, wenngleich mit französischem Akzent. »Ich habe den anderen Beamten alles gesagt, woran ich mich erinnern kann. Ich hatte ziemliche Angst. Als er die Wollmütze anprobiert hat, meine ich. Er hat sie sich wie eine Maske über das Gesicht gezogen. Schrecklich.«
»Das kann ich mir vorstellen«, sagte Sachs, nun in normaler Geschwindigkeit. »Dürfen wir Ihre Fingerabdrücke nehmen?«
Auf diese Weise sollte überprüft werden, ob die Abdrücke auf dem Kassenbon und den in der Museumsbibliothek sichergestellten Gegenständen tatsächlich von ihr stammten. Die Frau war einverstanden. Ein mobiles Analysegerät bestätigte die Übereinstimmung.
»Sind Sie sicher, dass nichts darauf hingedeutet hat, wer er sein könnte oder wo er wohnt?«, fragte Sachs dann.
»Ja, bin ich. Er war nur ein- oder zweimal hier. Vielleicht auch öfter, aber er ist die Art von Mensch, die irgendwie keinen bleibenden Eindruck hinterlässt. Durchschnittlich. Er hat nicht gelächelt, nicht die Stirn gerunzelt, nichts gesagt. Vollkommen durchschnittlich.«
Kein schlechter Look für einen Killer, dachte Sachs. »Was ist mit den anderen Angestellten?«
»Ich habe alle gefragt. Niemand kann sich an ihn erinnern.«
Sachs öffnete den Koffer, legte das Analysegerät zurück und holte einen Laptop hervor. Nach einer Minute hatte sie ihn hochgefahren und EFIT gestartet, das Programm zur elektronischen Gesichtsidentifizierung. Die Software war eine Computerversion des alten Identikit und diente zur Anfertigung von Phantombildern. Früher hatte man zu diesem Zweck vorgedruckte Karten mit verschiedenen Gesichtselementen und Frisuren aneinander gelegt, heutzutage fand das alles am Bildschirm statt und führte zu einem fast fotografisch anmutenden Ergebnis.
Es dauerte weitere fünf Minuten, dann sah Sachs das zusammengesetzte Abbild eines glatt rasierten Weißen vor sich, ungefähr Mitte vierzig, mit kurzem hellbraunem Haar und kantigem Unterkiefer. Er hätte ein beliebiger Geschäftsmann, Lieferant oder Verkäufer sein können, wie es sie in New York millionenfach gab.
Durchschnittlich …
»Wissen Sie noch, was er angehabt hat?«
EFIT verfügte über ein Begleitprogramm, mit dessen Hilfe das elektronische Gegenstück des Verdächtigen eingekleidet werden konnte – als würde man eine Puppe anziehen. Aber die Frau erinnerte sich lediglich an einen dunklen Regenmantel.
»Ach, eines noch«, fügte sie hinzu. »Ich glaube, er sprach mit Südstaatenakzent.«
Sachs nickte und machte sich eine entsprechende Notiz. Dann verband sie den Laptop mit einem kleinen Laserdrucker und fertigte zwei Dutzend Ausdrucke an, die jeweils ein dreizehn mal achtzehn Zentimeter großes Fahndungsbild von Täter 109 mit kurzen Angaben zu Größe und Gewicht enthielten sowie den Hinweis, dass er eventuell einen Regenmantel trug und mit Akzent sprach. Amelia fügte außerdem die Warnung hinzu, dass dieser Mann keine Rücksicht auf Unbeteiligte nehmen würde. Sie gab die Ausdrucke an Bo Haumann weiter, den einstigen Armeeausbilder, der seine grauen Haare immer noch militärisch kurz trug und inzwischen der Emergency Services Unit vorstand, der taktischen Spezialeinheit der New Yorker Polizei. Haumann verteilte die Zettel an seine Leute und die Streifenbeamten vor Ort. Dann teilte er mehrere gemischte Teams ein – damit die normalen Beamten durch seine schwer bewaffneten ESU-Kollegen geschützt waren – und wies sie an, sich in der näheren Umgebung umzuhören.
Die Männer machten sich auf den Weg.
Das NYPD, die Polizeibehörde der coolsten Stadt der Welt,
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