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Das tibetische Orakel

Titel: Das tibetische Orakel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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Sie?«
    Winslow und Shan schüttelten den Kopf. Jenkins riß die Folie auf, roch an der Zigarre und gab einen kleinen zufriedenen Laut von sich.
    »Aber Sie können Miss Larkins Begleiter doch bestimmt in Golmud ausfindig machen und befragen.«
    Shan musterte den Manager noch durchdringender.
    »Nein, verdammt. Das wäre wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Es befinden sich ständig zwei- oder dreihundert Arbeiter in der Zentrale und werden neu verteilt. Diese Männer aus Melissas Team könnten mittlerweile jeder an einem anderen Ort stecken, Hunderte von Kilometern entfernt, vielleicht sogar in anderen Provinzen. Unser chinesischer Partner betreut Projekte in ganz China.«
    »Haben Sie die Namen?«
    Shan ließ nicht locker.
    Jenkins zündete sich die Zigarre an und inhalierte tief. Er sah Winslow mit ungläubigem Stirnrunzeln an. »Und Sie haben Melissa wirklich nicht gekannt?«
    »Das habe ich Ihnen doch schon erzählt«, fiel Winslow ihm ins Wort. »Ich mache bloß meinen Job.«
    Jenkins nahm einen weiteren tiefen Zug. »Okay. In irgendeiner Computerdatei dürften die Namen noch stehen.«
    Er stand auf, ging zur Tür und rief auf chinesisch die Frau zu sich, die den Tee gebracht hatte. Sie sprachen kurz miteinander, dann kehrte er zurück. »Hier passiert jede Menge verrücktes Zeug. Es ist wie im Wilden Westen. Oder wie am Ende der Welt. Alle sind weit weg von zu Hause. Wir werden dafür bezahlt, an irgendeinen gottverlassenen Ort zu reisen und Geld aus dem Boden zu pumpen, also machen wir das. Manches begreife ich nicht ganz. Aber es geht mich auch nichts an. Soldaten kommen und gehen. Ich höre, daß Leute aus Peking zu mitternächtlichen Treffen anreisen. Man sagt mir, ich solle mich aus der Politik heraushalten. Und ich befolge diese Anweisung. Es geht ja immerhin nur um Politik, nicht um irgendwas Kriminelles.«
    »Warum, Jenkins«, fragte Winslow, »haben Sie gerade das Wort >kriminell< benutzt?«
    Der Manager verzog das Gesicht. »Das war nur so dahingesagt. Ohne konkreten Grund.«
    »Aber wie können Sie das einem Stück Land antun, zu dem Sie in keinerlei Verbindung stehen?« hörte Shan sich selbst fragen. Die Worte drangen ihm völlig unwillkürlich über die Lippen. Als würde eine Gottheit durch ihn sprechen. Dies ist nicht dein Land, würden die Tibeter sagen, und daher darfst du nichts von ihm erbitten.
    »Verbindung?« fragte Jenkins, als könne er es nicht verstehen. Dann jedoch senkte er den Kopf. »Es ist mein Beruf«, sagte er und klang dabei plötzlich müde. Da wußte Shan, daß der Manager seine Frage sehr wohl verstanden hatte. »Ich habe dieses Geräusch gehört. Es war wie ein Herzschlag.«
    Er sah Winslow an. »Sie haben es doch auch gehört, oder?«
    Schweigend verharrten sie eine Weile.
    »Draußen vor dem Lager wühlen zwei Leute auf Knien in der Erde«, sagte Shan.
    Jenkins schnaubte verächtlich und grinste Shan an, als sei er dankbar für den Themenwechsel. »Eine der Entwicklungsbanken hat ziemlich viel Geld in das Projekt investiert, was bedeutet, daß die Bürokraten sich haufenweise Vorschriften und Kriterien ausdenken durften. Eine Auflage lautet, daß ein archäologisches Gutachten erstellt werden muß. Jemand ist über irgendein Artefakt gestolpert und hat den Fehler gemacht, es nach Golmud zu melden. Dann tauchten auf einmal zwei Fachleute hier auf und brachten ein Schreiben mit, das uns zur Kooperation verpflichtete. Sie werden die Stelle katalogisieren, einen Bericht schreiben und weiterziehen. Es landet sowieso nur in irgendeiner Akte.«
    »Was für ein Artefakt?« fragte Shan.
    »Ein altes Stück Bronze mit irgendeiner Inschrift. Ich wette, jeder tibetische Bauer findet so etwas zweimal am Tag.«
    Während er sprach, kam seine Sekretärin und brachte ein einzelnes Blatt Papier, auf dem einige Namen verzeichnet waren. Sie sah die drei Männer nacheinander an und reichte die Liste dann Winslow. »Verraten Sie Zhu nichts davon«, bat sie Jenkins und zog sich wieder zurück.
    Der Manager nahm einen weiteren Zug und schaute ihr besorgt hinterher.
    »Was ist mit all diesen Soldaten?« fragte Winslow beiläufig.
    »Die Armee wird bei Umsiedlungen häufig eingesetzt. Es heißt, das sei ein gutes Training für die Männer.«
    Shan erschauderte. Training für die Männer. Es war etwas, das die Armee besser als jeder andere in Tibet beherrschte. Die Umsiedlung von Tibetern. Man riß die Leute aus ihrem Land und ihrer gewohnten Umgebung, erklärte sie zu Flüchtlingen und

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