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Das tibetische Orakel

Titel: Das tibetische Orakel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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würde.«
    »Haben Sie mit Zhu über die Einzelheiten gesprochen?« wollte Shan wissen. »Wie weit war er zum Beispiel von ihr entfernt, als er sie abstürzen sah? Hat er versucht, die Leiche zu bergen?«
    »Nur per Funktelefon. Ich war in Golmud, als er zurückkam Er hat mir den Bericht zugefaxt. Zum Glück gab es überhaupt einen Zeugen. Andernfalls würde ihre Familie nun jahrelang im Ungewissen bleiben. So können sie wenigstens um sie trauern und weitermachen.«
    »Es war nur Zhu?« fragte Winslow. »Ich meine, hat denn keiner seiner Begleiter etwas gesehen? Wurde sonst niemand als Zeuge aufgeführt?«
    Jenkin verzog das Gesicht. »Er ist der Direktor für Sonderprojekte, um Gottes willen.«
    »Wie lange arbeitet er schon für die Firma?« fragte Shan.
    Jenkins runzelte die Stirn und sah Winslow an, bevor er antwortete. »Noch nicht lange. Ich habe ihn erst bei diesem Projekt kennengelernt.«
    »Und was genau fällt in seinen Zuständigkeitsbereich?« fragte Winslow.
    »Was auch immer die Firma festlegt.«
    Jenkins zuckte die Achseln. »Er arbeitet für jemanden, der zwei oder drei Gehaltsklassen über mir steht. Jemand im Ministerium, glaube ich. Seine Hauptaufgabe dürften die Belange der Investoren sein.«
    »Belange der Investoren?« fragte Winslow.
    »Er überwacht die Ausländer in der Firma«, sagte Jenkins nachdenklich und rieb sich das stoppelige Kinn. »Vermutlich trägt er graue Unterwäsche.«
    Shan benötigte einen Moment, bis er begriff: Jenkins hielt Zhu für einen Angehörigen der öffentlichen Sicherheit.
    »Hat Zhu die Soldaten der öffentlichen Sicherheit herkommen lassen?« fragte Shan unvermittelt. »Um nach der Frau zu suchen?«
    Der Manager musterte ihn kurz und warf Winslow dann einen verärgerten Blick zu. »Diese Truppen kommen aus Golmud. Klar, vielleicht hat Zhu sie gerufen. Die Öffentliche Sicherheit ist der Firma gelegentlich behilflich, meistens um die Disziplin der chinesischen Arbeiter zu stärken. Bei der Suche nach Larkin haben sie uns nicht geholfen.«
    »Dieses andere Lager«, sagte Winslow. »Wie viele Ausländer gibt es dort? Und sind auch Amerikaner darunter?«
    Jenkins schüttelte den Kopf. »Nur Briten. Das ist alles streng reglementiert. Mein amerikanischer Arbeitgeber hält einen zehnprozentigen Firmenanteil, und es gibt insgesamt zehn Forschungscamps. Also dürfen wir eines der Lager leiten. Für die anderen ausländischen Investoren gelten die gleichen Regeln.«
    »Wieso hier?« fragte Shan. »Was am Berg Yapchi hat Miss Larkin so sehr interessiert?«
    »Sie war einfach eine Perfektionistin«, sagte Jenkins. »Die Karten dieser Gegend hatten sich als wertlos und lückenhaft erwiesen. Wenn Melissa irgendwo arbeitete, hielt sie alle Einzelheiten fest und wollte über die geologische Struktur in fünfzehn Kilometern Umkreis und drei Kilometern Tiefe Bescheid wissen. Bei Geologen ist das fast schon zwanghaft. In unserer Firma machen es alle so, und am Ende speisen sie die Daten bei uns zu Hause in einen großen Computer ein, der daraus Modelle errechnet. Dann wird nach neuen Indikatoren gesucht, nach Ähnlichkeiten oder Hinweisen auf das Vorhandensein und die Beschaffenheit des Öls. Dabei kommt es oft zu merkwürdigen Wiederholungen. Informationen über ein Projekt in Pakistan können sich als wertvoll für ein Vorhaben in Alaska erweisen.«
    »Was ist aus den anderen in Miss Larkins Team geworden?« fragte Shan. »Denjenigen, die zurückgekommen sind.«
    Zhu hatte behauptet, auch ihre tibetischen Mitarbeiter seien verschwunden.
    »Die Zusammensetzung der Teams ändert sich ständig. Die Leute, die an jenem Tag mit Melissa unterwegs waren, wurden zurück in die Operationszentrale bei Golmud geschafft. Unsere Hölle auf Rädern.«
    »Wie bitte?«
    Shan war verwirrt.
    »Ein alter Eisenbahnerbegriff. Rund um große Bauvorhaben wachsen vorübergehend ganze Städte aus dem Boden. Für ein paar Monate oder ein Jahr herrscht Hochbetrieb, und dann packen alle die Koffer und ziehen zum nächsten Großprojekt weiter. Zur Zeit herrscht eine regelrechte Goldgräberstimmung. Jemand aus Peking war da und hat in Golmud eine Rede vor den Managern gehalten. Wir würden Chinas Westen erschließen und brächten den Wohlstand«, erklärte Jenkins mit matter Stimme. »Erst arbeiten die Forschungsteams, dann die Bohrlager. Sobald wir fertig sind, kommen die Rohrleger für die Pipeline, und wir fangen mit dem nächsten Projekt an.«
    Jenkins zog die Zigarre aus der Hemdtasche. »Stört es

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