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Das tibetische Orakel

Titel: Das tibetische Orakel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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Trümmer seiner Arbeit. »Mein Gott.«
    Er sah wieder Shan an. »Die Tibeter aus diesem Dorf behaupten, ihre Gottheit habe gesprochen. Sie sagen, es tue ihnen zwar leid, daß wir nun solche Unannehmlichkeiten hätten, aber da könne man eben nichts machen.«
    Jenkins schüttelte den Kopf. »Es gehört nicht zu meinem Job, Gespräche mit Göttern zu führen. Im Innern höre ich immer noch diese Trommel. Ich habe keine Lust mehr, in der Erde herumzuwühlen. Ich gehe nach Hause. Aber vorher muß ich einen Bericht abliefern.«
    Er seufzte. »Ich werde schreiben, es sei höhere Gewalt gewesen.«
    »Da hat jemand nach Ihnen gesucht, Shan«, erinnerte Larkin sich plötzlich. »Ich glaube, all die Tibeter, die schon die Flucht angetreten oder sich oben auf dieser Lichtung versammelt hatten, sind wieder zurückgekommen, als die Nachricht sich herumsprach.«
    Sie deutete auf den gegenüberliegenden Hang, wo ein provisorisches Zeltlager entstanden war.
    Shan stand langsam auf und lief hinunter. Er fand Lokesh am Ufer des ansteigenden Sees. Der alte Tibeter wusch Steine. »Berühr mal das Wasser«, sagte er aufgeregt. »Es ist ganz anders.«
    Es waren seine tonde. Lokesh wusch die Talismane.
    Shan bückte sich, schöpfte mit beiden Händen Wasser und wusch sein Gesicht. Die Flüssigkeit prickelte auf der Haut. Vielleicht nahm das Wasser bei seiner Reise durch den tiefen Fels Kohlensäure auf. »Schon jetzt behaupten die Leute, dieser See habe große Macht«, fügte Lokesh hinzu.
    Shan reichte seinem Freund den Stab, den er aus der Höhle mitgebracht hatte. Der alte Tibeter sah ihn fragend an und legte dann langsam die Fingerspitzen auf das Holz, als würde er einen Puls ertasten. »Ich hoffe, es ist ihnen genug Zeit geblieben, sich darauf vorzubereiten«, flüsterte er, und Shan sah die plötzliche Trauer in seinem Blick.
    »Ja, sie waren vorbereitet«, sagte Shan und fragte sich, wie viele der Tibeter wohl Bescheid wußten. Lepka und Lokesh schienen beide verstanden zu haben, wohin Jokar und Winslow gegangen waren, als sei es ihnen möglich gewesen, den beiden Männern etwas anzusehen, das Shan verborgen geblieben war.
    Einer der beiden verbliebenen Armeelaster verließ das Lager und folgte der schweren Zugmaschine, die den letzten der Wohnanhänger wegschleppte. Der zweite Armeetransporter setzte sich in Bewegung, bog dann aber unversehens zur Mitte des Tals ab und fuhr am Wasser entlang. Ungefähr dreißig Meter von Shan entfernt blieb das Fahrzeug stehen, und die beiden Soldaten im Führerhaus schienen sich über etwas zu streiten. Dann ging der Motor aus, und vier Soldaten stiegen von der Ladefläche. Sie bewegten sich nur langsam, nicht auf die sonst so aggressive Art, und auch ihre Blicke waren nicht feindselig. Gemeinsam hoben sie etwas heraus und wichen abrupt auf die andere Seite des Lasters zurück. Hinter ihnen kam Lin zum Vorschein, und auf seinen Armen lag ein langes Bündel, das in ein leuchtendweißes Tuch gehüllt war. Der Oberst musterte die Tibeter am Seeufer. Sie hielten inne und sahen ihn schweigend an. Als Lin auf Shan zuging, setzten auch Lhandro und Nyma sich in Bewegung, verließen das zerstörte Feld, in dem sie gestanden hatten, und kamen mißtrauisch näher. Lokesh zog sich an dem Stab hoch.
    Als Lin sich bückte, um die verhüllte Gestalt vor Shan auf den Boden zu legen, trat Lhandro mit ausgestreckten Armen vor und nahm Anyas Leiche entgegen. Lin überreichte sie ihm stumm und strich der Toten über den Kopf. »Sie sollte bei ihrem Volk sein«, flüsterte er. »Aber überlaßt sie nicht den Vögeln«, sagte er zu Lhandro. »Bitte, ich könnte den Gedanken nicht ertragen, daß die Vögel sie bekommen haben.«
    Eine Weile sprach niemand. Das Wasser plätscherte ans Ufer. »Das Tal hat Platz genug für unsere Anya«, sagte ein alter Mann, und Lin wandte sich nickend um, als Lepka ihren kleinen Kreis betrat. »Außerdem gibt es noch die Überreste der Chinesen aus diesem Tempel.«
    Lepka hielt etwas empor. Eine Schaufel. »Ich brauche deine Hilfe«, sagte er zu Lin.
    Der Oberst starrte ihn an und kniff die Augen zusammen, als könne er kaum erkennen, was Lepka bei sich trug.
    »Ich brauche deine Hilfe, Xiao Lin«, sagte Lepka sanft und deutete auf eine Stelle am unteren Teil des Hangs, die von mehreren hohen Bäumen beschattet wurde. Dann ging der alte Mann mit seiner Schaufel voran, und der Oberst folgte ihm mit kleinen Schritten und gesenktem Blick wie ein verwirrter Junge.
    Xiao Lin hatte Lepka ihn

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