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Das tibetische Orakel

Titel: Das tibetische Orakel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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landete vor Shans Füßen.
    Winslow schien die grobe Behandlung gar nicht zur Kenntnis zu nehmen. »Nicht viel«, pflichtete er bei, diesmal auf Mandarin, und grinste Lin an, als die Soldaten ihn an die Wand drückten.
    Der Sergeant griff dem Amerikaner in die Hemdtasche und zog einige Papiere heraus, darunter auch ein halbes Dutzend Fotos des Dalai Lama. Letztere ließ er angewidert fallen und trat sie mit dem Stiefel in den Staub. Der Amerikaner blickte wehmütig auf die zerstörten Bilder. »Wissen Sie«, seufzte er, »manche behaupten, dieser Mann sei die Reinkarnation des Mitfühlenden Buddhas.«
    Er sah wieder Oberst Lin an, und Shan erschauderte. Der Amerikaner forderte den Offizier absichtlich heraus. Lin erwiderte den Blick und schaute vielsagend auf den Viehtreiber. Auf sein Nicken hin zerrten die Soldaten Winslow zu dem ersten Transporter.
    Mit leisem Fluchen wandte Lin sich erneut Lhandro zu. Der Amerikaner war bloß eine vorübergehende Ablenkung. Von der Ladefläche des zweiten Lastwagens ertönte ein Klirren, und dann warf ein Soldat Fußfesseln heraus.
    Lin ging zu Lhandro und schlug ihm ansatzlos mit dem Handrücken ins Gesicht. »Beantworte meine Fragen!« knurrte er und schlug ihn noch einmal. Der Bauer gab ein leises überraschtes Wimmern von sich und geriet ins Wanken. Lin sah auf seine Hand und runzelte wiederum die Stirn. Es klebte frisches Blut daran. Ein metallisches Klicken hallte durch die momentane Stille. Der Sergeant hatte Lhandro die Fesseln um die Knöchel gelegt.
    Während Shan den Oberst beobachtete, zog sein Magen sich schmerzhaft zusammen. Alles - Lhandros anfänglich ausweichendes Verhalten, das Auftauchen und respektlose Gebaren des Amerikaners und letztlich das Blut an Lins Fingern - hatte nur dazu beigetragen, den Zorn des Obersts anzustacheln. Lins Hand glitt mit einer kaum merklichen Bewegung zum Gürtel und öffnete das Holster, in dem eine kleine Automatikpistole steckte. »Ihr werdet detaillierte schriftliche Aussagen verfassen«, herrschte der Oberst sie an. »Wie ihr hergekommen seid, was ihr so fern von zu Hause verloren habt, wer sonst noch zu euch gehört, wen ihr unterwegs getroffen habt und wo ihr in den letzten drei Monaten gewesen seid.«
    Bei diesen Worten hielt der Soldat, der die Fußfesseln gebracht hatte, eine Rolle dickes, breites graues Klebeband hoch. Shan wußte, daß man ihnen damit den Mund zukleben würde, während sie schrieben.
    »Ihr werdet getrennt voneinander sitzen, und falls eure Aussagen nicht hundertprozentig übereinstimmen, wird man euch der Verschwörung zur Behinderung der Volksjustiz anklagen.«
    »Mann, General, Sie sind doch nicht die Öffentliche Sicherheit«, sagte Winslow laut und spöttisch. Noch nie im Leben hatte Shan jemanden getroffen, der dumm genug gewesen wäre, einen hohen Offizier der Armee vorsätzlich zu verhöhnen. »Bloß die verdammte Armee.«
    Einer der Soldaten drehte ihm einen Arm auf den Rücken, und Winslow zuckte vor Schmerz zusammen. Doch noch während der Soldat den Druck verstärkte, zwang der Amerikaner sich wieder zu einem Grinsen.
    Auf einmal tauchte zwischen den Felsen der kleine Tibeter in dem Anzug auf, starrte Winslow entsetzt an und schien etwas rufen zu wollen. Dann drehte er sich zu dem Oberst und öffnete den Mund, doch noch immer kam kein Wort über seine Lippen. Schließlich ließ er die Schultern hängen, sah die schwarze Mütze in seiner Hand an, ging zu Winslow und setzte sie ihm auf. Alle waren völlig verblüfft, nur der Amerikaner nicht. Er lachte.
    Unmittelbar darauf stieß der Sergeant einen überraschten Schrei aus, rannte zu Lin und gab ihm Winslows Papiere. Erstaunt verfolgte Shan, wie der Oberst große Augen bekam, die Papiere wütend zu Boden schleuderte und dermaßen schnell eine Reihe von Befehlen erteilte, daß Shan kein Wort verstand. Die Männer hinter Winslow ließen ihn los. Der Soldat, der Lokeshs Mütze hielt, warf sie dem alten Tibeter zu und folgte seinen Kameraden in den zweiten Lastwagen. Der Sergeant nahm Lhandro die Fußfesseln ab und warf die Ketten sowie den Stuhl des Obersts auf die Ladefläche des Transporters.
    Oberst Lin bewegte sich rückwärts zu dem ersten Fahrzeug und musterte schweigend und voller Wut Lhandro und Lokesh. Dreißig Sekunden später saß er in dem vorderen Wagen, und beide Transporter rasten auf der Straße davon. Während die Tibeter noch ungläubig dreinblickten, machte Shan sich von der Drahtfessel los, bückte sich und hob die Karotte und

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