Das Tier
Rest ruhig mit.“
Thars ignorierte die Flasche. Laudanum war eine Opiumtinktur und es war billig, daher konnte sich auch jede Gesellschaftsschicht dieses Mittelchen leisten. Das sprach wenigstens dafür, dass noch der größte Teil von Cyrians Münzen in dem Beutel waren.
„Haltet euch zukünftig von meinem Engel fern“, warnte er die beiden, bevor er ihnen den Rücken kehrte und davonstapfte.
„Brudfors Gnade, was für einen gruseligen Gönner hat sich Cyrian bloß gesucht“, hörte er es noch hinter sich wispern.
„Verrätst du mir, was hier los ist?“
Melva saß in einem gemütlichen Sessel und hielt eine Teetasse aus hauchdünnem Porzellan in ihren schlanken Fingern. Ein Veilchenmuster bedeckte die Tasse, wie Lerome nebenbei bemerkte.
„Was meinst du, meine Liebe?“, erkundigte er sich.
Melva stellte die Tasse ab und schaute ihn geradeheraus an. „All die Jahre sind wir gute Freunde gewesen, Lerome. Warum behandelst du mich nun, als wäre ich geistig zurückgeblieben?“
Der Vorwurf war berechtigt, wie er sich eingestehen musste. Melva war eine zu intelligente Frau, als dass die letzten Ereignisse in dieser Villa sie nicht stutzig gemacht hätten.
„Ich weiß über Marwin Bescheid. Warum du ihn in unser Haus geholt hast. Ich weiß, dass er seine Frau getötet hat. Und ich weiß auch, warum er es getan hat. Warum sprichst du nicht mit mir darüber?“
„Ich wollte dich nicht beunruhigen“, murmelte Lerome schuldbewusst.
„Und wegen Cyrian willst du mich ebenfalls nicht beunruhigen?“
Lerome spürte, wie Hitze in seine Wangen stieg. Melva erhob sich von ihrem Platz, um sich neben ihm auf die Chaiselongue zu setzen. Ihre Finger schlangen sich um die seinen.
„Er ist ein Liebesdiener“, sagte sie ihm auf dem Kopf zu. Beschämt senkte Lerome den Blick.
„Er hat dich glücklich gemacht, Lerome, das ist doch nicht schlimm. Und er ist ein netter Junge. Ich mag ihn.“
„Es tut mir leid. Ich hätte nicht … und schon gar nicht … Wie soll ich … Ach, Melva!“ Er küsste ihre Fingerspitzen. „Ich hätte ihn nicht hierherbringen sollen und ich wollte dich gewiss nicht mit seiner Anwesenheit brüskieren, aber …“ Er verstummte, wusste nicht, wie er ihr alles weitere erklären sollte.
„Thars ist das Tier“, flüsterte Melva an seiner Seite. „Er ist aus dem Kerker entkommen und war verletzt. Und Cyrian war bei ihm.“
Sie machte es ihm einfach, diese wunderbare Frau.
„Woher weißt du das?“
„Ich kann Eins und Eins zusammenzählen. Allerdings ich will auch den Rest erfahren. Also erzähl mir alles, Lerome, alles, was geschehen ist. Ganz genau.“
Es hatte Cyrian nicht im Bett gehalten. Das Laudanum machte ihn zwar benommen und dämpfte seine Schmerzen, aber er war viel zu aufgewühlt, als dass er hätte schlafen können. Stattdessen trieb ihn der Gedanke an das geheimnisvolle Mittel auf die Straße zurück. Als Thars in dem Garten gesessen hatte, hatte er einen Namen vor sich hingemurmelt: Stian. Cyrian war sich sicher, dass dieser Mann etwas mit den Valorsanern zu tun haben musste, so verbittert wie Thars den Namen ausgestoßen hatte. Er blieb im Lichtkegel einer Gaslaterne stehen und überlegte. Um ein Labor unterhalten zu können, brauchte man Geld. Viel Geld. Daher war es nur wahrscheinlich, dass dieser Stian wie Doktor Lerome in dem vornehmen Viertel der Stadt wohnte. Nun konnte er aber schlecht an jede Haustür klopfen und nach einem Herrn Stian fragen.
„Vier Uhr!“, hallte die Stimme eines Nachtwächters durch die Straße. „Und alles ist in Ordnung!“
Nichts war in Ordnung. Sein Geld war weg. Brudfor war ein gewissenloser Schuft und es gab Gardisten, die es auf ihn abgesehen hatten. Wenigstens würden sie ihn in einer solch noblen Gegend nicht suchen. Moment mal! Der Nachwächter!
Cyrian beeilte sich, den Mann in seinem weiten schwarzen Umhang und dem breitkrempigen Hut einzuholen. Eine buschige Braue zog sich bei seinem Anblick überrascht in die Höhe.
„Entschuldigen Sie“, sagte Cyrian hastig, bevor der Nachtwächter mit seinem Schlagstock herumfuchteln und ihn verjagen konnte. „Ich bin in einem Auftrag unterwegs und habe mich völlig verlaufen. Können Sie mir sagen, wie ich zum Haus des Herrn Stian komme?“
Streng wurde er gemustert. Dank seiner ordentlichen Kleidung ging er tatsächlich als ein Knecht durch. Die verblassenden Spuren seiner Prellung im Gesicht bemerkte der Nachtwächter offenbar im Licht seiner rußigen Laterne nicht. Um den
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