Das Tier
seinem luxuriösen Leben gesucht, hatte mehr tun wollen, als bloß sein Vermögen zu verwalten oder Handlangerarbeiten in den Labors durchzuführen, da ihm leider die Brillanz für eigene Forschungen fehlte. Er hatte endlich einen richtigen Beitrag für die Gemeinschaft leisten wollen. Zu dieser Zeit noch hatte Thars zu ihm aufgeschaut. Seitdem war ein ganzes Zeitalter vergangen.
„Was war ich damals blauäugig, als ich mich freiwillig für das Serum zur Verfügung gestellt habe“, flüsterte der fremde Thars vor ihm.
„Ich habe nachgedacht, Thars, tage- und nächtelang“, versuchte er sich bei seinem Patenkind Gehör zu verschaffen. „Mittlerweile bin ich mir sicher, dass der Charakter ausschlaggebend für die weitere Entwicklung nach der Injektion ist.“
„Ich bin an deinen wissenschaftlichen Thesen nicht interessiert!“, brüllte das Tier vor ihm. „Sei verflucht, Stian! Sei verflucht für all die Qualen, die dieser unschuldige Junge erleiden wird.“
„Thars, er ist ein Liebesdiener. Was für einen Charakter mag der Knabe da haben? Um diese Frage zu beantworten, muss man wirklich keine große Leuchte sein.“ Beschwörend hob Stian die Hände. „Er wird genauso wahnsinnig werden, wie die anderen. Wie Tymon, wie Bela … Töte ihn gleich und erspare ihm das unnötige Leid. Dort in meinem Schreibtisch befindet sich eine Pistole. Mach es kurz und schmerzlos. Und dann überlegen wir uns gemeinsam, wie wir dir helfen kö…“ Schockiert verstummte Stian, denn Thars’ Augen veränderten sich weiter. Es schien, als würden sie sich mit Blut füllen. Mit einem Fiepen presste sich Stian gegen die Wand. Auf einmal wollte er nicht mehr durch Thars’ Hände sterben. Das konnte nur ein grausiger Tod werden und davor hatte er noch mehr Angst als vor dem Weiterleben. Voller Staunen beobachtete er, wie Thars den Jungen mit beneidenswerter Leichtigkeit hochhob und ihn liebevoll küsste. Liebevoll küsste?
„Thars“, flüsterte er entsetzt. „Thars, bitte …Verliebe dich nicht in jemanden, der zu einem Monster mutieren wird.“
„Monster?“ Ein bitteres Lachen quoll über die Lippen des Tiers. „Wen sollte ich denn sonst lieben? Ich bin doch selbst eins.“ Mit diesen Worten drehte er Stian den Rücken zu und ging.
Wie benommen blieb Stian zurück. Nun hatten sie ihn alle verlassen. Die Valorsaner, seine Freunde und Bewunderer, seine Dienerschaft und jetzt auch Thars.
„Ich habe mich geirrt. Nicht du bist das Monster, mein Junge“, murmelte er nach einer Weile und wankte auf seinen Schreibtisch zu. „Das Monster bin ich.“
Er zog eine Schublade auf und holte die Pistole hervor, von der er eben noch gesprochen hatte. Sekundenlang stierte er auf die kunstvoll gestaltete Waffe. Es war eine alte Duellpistole. Das Gegenstück hierzu lag in dem Sarg des Mannes, den er mit dieser Waffe getötet hatte: Thars’ Vater. Romuald hatte den Geheimbund der Valorsaner gegründet und auch die Forschungen nahezu fanatisch und unermüdlich vorangetrieben. Aber dann, als sie mitten in den Experimenten zu dem Serum waren, das ihnen allen letzten Endes zum Verhängnis wurde, und sich die ersten Ergebnisse abzeichneten, hatte Romuald die Versuche abbrechen wollen. Er hatte Zweifel bekommen, Gewissensbisse. Etwas, das kein Forscher, kein Wissenschaftler haben durfte, wenn er im Leben etwas erreichen wollte. Wegen dieser moralischen Bedenken gerieten sie in einen heftigen Streit. Ein Wort führte zum anderen, bis ein Schuss krachte.
Stian stöhnte auf. Dieser Knall dröhnte ihm bis heute in den Ohren. Bis heute konnte er sich nicht erklären, wie die Waffe in seine Hände gelangt war. Damals hatte er sich mit einer Lüge aus der Affäre gezogen und behauptet, dass Romuald die Pistole hatte reinigen wollen, ohne zu wissen, dass sie geladen war. Und er hatte sich bemüht, seine Schuld abzutragen, indem er sich um Thars kümmerte.
„Ich bin ein Versager auf der ganzen Linie“, murmelte Stian, schob sich den Lauf der Pistole in den Mund und drückte ab.
Drei Wochen waren vergangen. In der Grünen Villa hatten Melva und Lerome den Brief gefunden, den Thars ihnen hinterlassen hatte. Dass auch Cyrian verschwunden war, wunderte sie gar nicht. Beide vermuteten sie, dass er Thars gefolgt war. Lerome bedauerte es sehr, denn er hätte Cyrian gerne als Lehrling bei sich behalten. Doch er ließ sich schnell ablenken. Zum einen hatte er seine Arbeit. Die Patienten wurden weiterhin krank oder verletzten sich. Für einen Arzt gab es
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