Das Tier
die Ratten sind sie alle geflohen, nachdem du Bela und die anderen … ausgeschaltet hattest. Alle hatten Angst, du würdest sie im Kerker verraten.“
„IHR habt MICH verraten!“, schrie Thars wütend. „Ihr habt mir die Schuld an den Morden angehängt! Ihr habt verhindert, dass ich hingerichtet wurde, sieben Monate habe ich in diesem Loch gesessen und auf den Tod gewartet! Ihr habt euch verschworen, um eure bestialischen Experimente weiterzuführen!“
„Thars, ich … nein … bitte, versteh doch. Es gab und gibt keine Verschwörung. Niemand von uns hat gegen dich ausgesagt. Wir wurden nicht einmal genauer gefragt, niemand weiß, wer du bist! Du giltst als vermisst. Dein Haus ist versiegelt, die Dienerschaft habe ich fortgeschickt.
Ich weiß nicht genau, warum dich niemand hingerichtet hat. Mein Verdacht ist, dass keiner wagte, dich aus dem Verlies zu holen … Thars, alles war ein fürchterliches Unglück. Wir haben geglaubt, das Richtige zu tun. Wir dachten, die Zukunft der Menschheit mit unserem Mittel neu zu bestimmen. Es hat keine weiteren Experimente gegeben. In dieser Spritze war der letzte Rest von Evolution. Ich konnte mich nicht durchringen, alles zu zerstören.“
Stian sprach die Wahrheit. Thars witterte tiefer, drang durch die obere Schicht von Selbstvernachlässigung und Angst. Da war Schuld, ein Martyrium ewig kreisender Gedanken um die Momente, als Stian ihn überredet hatte, sich den Valorsanern zuzuwenden, als Thars unter dem Einfluss des Serums zu mutieren begann, als Stian ihn aufforderte, die anderen Wissenschaftler zu jagen, und unter dem Druck der anderen zugestimmt hatte, Thars zu verraten. Es war vorbei. Dieses Wissen ließ ihn etwas ruhiger werden. Wenn er Cyrian nicht mehr retten konnte, würde er zugrunde gehen, doch wenigstens der Rest der Welt war in Sicherheit.
„Ich bin hier geblieben, um auf dich zu warten, Thars. Irgendwie habe ich geahnt, dass du ausbrechen würdest. Ich wollte, dass du mich findest und mich erschlägst, als Strafe dafür, dass ich wie die anderen daran glaubte, dem Schöpfer ebenbürtig sein zu können.“ Stian weinte erbärmlich. Er war erbärmlich, nichts als ein Wrack war von dem brillanten Wissenschaftler übrig geblieben. „Ich war zu feige, mich selbst zu richten. Und ich wollte auf jeden Fall leben, bis du entweder tot oder zu mir gekommen bist. Ich musste dich doch noch um Verzeihung anflehen …“
Verzeihung – wie sollte er diesem Mann verzeihen, der ihn verraten hatte? Der seinen Vater … Nein, das wollte Thars gar nicht wittern, er wandte sich rasch ab und versenkte die Nase in Cyrians Locken.
„Wir müssen eine Entscheidung treffen, mein Junge. Schau, das dort ist ja fast noch ein Kind! Ich glaube nicht, dass Kinder oder Jugendliche die Transformation überleben können. Du weißt, wie viel Kraft sie erfordert.“
„Er ist zwanzig“, erwiderte Thars mechanisch. Wie betäubt lehnte er sich an den schweren Schreibtisch, neben dem er Cyrian gefunden hatte. Sie würden seinen Engel einsperren müssen, damit er sich nicht selbst verletzte, während sein Körper mutierte. Tagelange, wochenlange grausame Schmerzen standen ihm bevor, heillose Angst, womöglich Wahnsinn …
„Was für ein Mensch ist er?“, fragte Stian plötzlich. „Welchen Charakter hat er?“
„Warum fragst du?“, entgegnete Thars müde.
„Weil … ich habe nachgedacht. Darüber, warum die Versuchstiere sich nicht im Wesen verändert haben. Darüber, warum du so anders geworden bist als Bela, Caril, Tymon … Nehmen wir Caril. Was für ein Mensch war er?“
Trotz seines Elends musste Thars sich ein Schmunzeln verkneifen. Stians Tonfall war der alte geblieben, es war der eifrige Wissenschaftler, der enthusiastische Professor, der zu seinem Schüler sprach. Wenigstens etwas, das Evolution 4 nicht zerstört hatte. Er konzentrierte sich auf Caril, diesen unscheinbaren Mann mittleren Alters mit der Halbglatze und diesem bei seinem Vollmondgesicht albern wirkenden Spitzbärtchen am Kinn. Es fiel ihm schwer, gedanklich nicht zu dem Monster abzuschweifen, das er nach der Mutation geworden war. Zögernd murmelte er schließlich:
„Caril war begnadet, wie sie alle. Arrogant, einzelgängerisch, mürrisch – aber begnadet. Und wenn man ihn zwang, konnte er auch in der Gruppe arbeiten.“
„Richtig. So könnte man sie alle beschreiben. Skrupellos, wenn es um ihre Arbeit ging, der Welt entfremdet, exzentrisch.“
„Tymon hatte Humor. Früher, bevor er …“ Thars
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