Das Tier
stets genügend zu tun. Zum anderen hatte Thars in seinem Brief Andeutungen über Marwin fallen gelassen und Melva hatte ihren Gatten dazu gedrängt, herauszufinden, was an diesen Vermutungen dran war. Seitdem gab es zwei Männer in der Villa, die einander anstrahlten, wann immer sie sich begegneten.
Nur sie war nicht zufrieden. Ihre Porzellanmalerei gelang ihr nicht in diesen Tagen, da sie gedanklich einfach nicht bei der Sache war. Thars‘ Schicksal und das des blonden Lockenschopfs Cyrian hatte ihre mitleidige Seele berührt und sie hatte in den letzten Wochen viel an sie denken müssen. Ob es ihnen wohl erging, ob Cyrian Fortschritte beim Lesen und Schreiben machte und was für Pläne die beiden hatten. Gestern erst hatte sie geglaubt, Thars auf dem Markt zu erspähen. Diese große, massige Gestalt … Leider hatte der Mann den Hut tief ins Gesicht gezogen, sodass sie sein Gesicht nicht sehen konnte und sich somit nicht sicher war. Doch der Gedanke, er könnte es gewesen sein, ließ sie nicht los.
Daher setzte sie sich ein keckes Hütchen auf ihr sorgfältig aufgestecktes Haar, zog die Spitzenhandschuhe an und hängte sich den Sonnenschirm elegant über den Arm. In ihren polierten Schnürstiefelchen trat sie aus der Villa, überquerte den frisch geharkten Weg bis zur Straße, wo Bantiez mit dem leichten Gig auf sie wartete. Er schaute sie ein wenig verstimmt an, weil sie darauf bestanden hatte, allein zu fahren. Aber sie konnte sowohl mit dem Pferd als auch mit dem Gig umgehen.
Wenig später klapperten die Pferdehufe munter die Straße entlang. Melva wusste genau, welchen Weg sie einschlagen musste. Diskret hatte sie bei ihren Damenkränzchen zwischen klebrigem Gebäck und heißer Schokolade ihre Freundinnen ausgefragt. Und tatsächlich hatte die eine und auch die andere von dem Lebemann Thars gehört, der eines Tage so plötzlich verschwunden war. Daher war es Melva nun bekannt, vor welchem feinen Haus sie den Braunen zügeln musste. Zweifelnd blickte sie dann auf die Fassade des vornehmen Gebäudes. Die Fensterläden waren geschlossen und die Beete verwildert. Das ganze Grundstück wirkte, als wäre es seit langem nicht mehr betreten worden. Oder es sollte genau diesen Eindruck erwecken.
Melva kletterte aus dem Gig, öffnete das Tor und schritt auf die Tür zu. Fünfmal betätigte sie die Klingel, ohne dass ihr jemand öffnete.
„Thars!“, rief sie schließlich. „Thars, ich bin es, Melva. Sind Sie daheim?“ Sie erhielt keine Antwort. „Thars?“
Verflixt! Dabei war sie sich ziemlich sicher gewesen, dass sich die beiden in Thars‘ Haus zurückgezogen gesucht hatten. Es war jedenfalls die naheliegendste Lösung gewesen. Enttäuscht seufzte sie. Damit hatte sie lediglich noch eine Möglichkeit, die beiden Männer zu finden.
Wenig später stand Melva vor einem zweiten Haus. Vielleicht wusste der Herr Stian, wo sich Thars und Cyrian aufhielten. Immerhin war er mit Thars befreundet gewesen. Leider öffnete auch hier niemand auf ihr Klingeln, allerdings glaubte sie jemanden rufen zu hören.
„Hallo?“ Zaghaft drückte sie gegen die Tür. Sie war verschlossen. Ganz undamenhaft presste sie ihr Ohr dagegen und zuckte gleich darauf erschrocken zurück. Dieses Mal hatte sie ganz deutlich einen Schrei gehört. Gedämpft und wie aus weiter Ferne. Trotzdem war sie fest überzeugt, etwas vernommen zu haben. Aufgeregt schaute sie an dem Gebäude empor. Was ging darin vor?
„Hallo!“ Sie versuchte es erneut mit der Klingel. „Machen Sie bitte auf. Ich kann Sie hören. Hallo!“
Frustriert, weil ihr nicht geöffnet wurde, lief sie schließlich um die Villa herum. Beinahe wäre sie über einen frischen Erdhügel gestolpert.
„Brudfors Gnade! Ein Grab?“
Langsamer und deutlich verwirrt ging sie zum Hintereingang weiter. Was hatte das Grab zu bedeuten? Es war hoffentlich nicht die letzte Ruhestätte dieses entzückenden Cyrians geworden! War dem Liebesdiener etwas zugestoßen und man hatte ihn einfach im Garten verscharrt? Energisch begann sie auf der Suche nach Antworten an der Dienstbotenpforte zu klopfen. Die Tür wurde so abrupt aufgerissen, dass sie vorwärts taumelte. Eiserne Finger umklammerten ihren Arm und zerrten sie in das Innere der Villa. Hinter ihr krachte die Tür ins Schloss. Melva versuchte ihr Gleichgewicht zu halten, als sie losgelassen wurde, und rückte ihr Hütchen zurecht, ehe sie aufschaute. Riesig und gewaltig erhob sich in der Küche vor ihr ein Schatten.
„Thars!“, rief sie
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